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(S. 151)




5.3 Fallstudie aus der Wissenschaftsorganisation
 

In der folgenden Fallstudie haben wir die berufliche Kommunikation an einem Arbeitsplatz über einen Arbeitstag hin untersucht. Sie stellt einen ersten Versuch dar, den Gegenstandsbereich "Sprache der Arbeit" in einem umfassenden Kontext zu beschreiben und einige auffällige Eigenschaften zu benennen. Den Sinn dieser Skizze sehen wir vor allem darin, genauere Arbeiten auf diesem Gebiet zu ermutigen und einige wichtige Punkte methodisch zu fixieren.

Sicher sind Fachsprache und Arbeitssprache in hier vorliegender Form keine identischen Größen, aber das Material gibt einen realistischen Rahmen für die fachsprachliche Praxis an und zeigt vor allem, etwa im Gegensatz zu Dialogen, wie sie in der Gesprächsanalyse vorzugsweise behandelt werden, daß in fachsprachlichen Situationen Kooperation und der Umgang mit Wissensressourcen eine erhebliche Rolle spielen. Überhaupt zeigt solche Kommunikation am Arbeitsplatz eine stärkere Gesamtstruktur über die einzelnen Aufgaben und Kommunikationsprozesse hinweg.

Eine erste Orientierung bietet das Kommunikogramm (S. 152). Der Zeitablauf ist in einem Diagramm (Zeit/Aufgabe) abgetragen (S.153).

Das Kommunikogramm bucht die Arbeits-Kommunikation an einem Arbeitsplatz der Wissenschaftsorganisation (Geschäftsführender Direktor) eines Universitätsinstituts im Zeitraum von 9.30 Uhr bis 17.00 Uhr.

Über den gesamten Zeitraum wurde eine Tonbandaufzeichnung am Arbeitsplatz durchgeführt. Über die Kommunikation, besonders die nicht-gesprochene (lesen, schreiben, reichen etc.) wurde von einer weiteren Person ein Protokoll mit folgenden Daten aufgeführt:

 
- Tätigkeit (Position) der Kommunikationspartner, - Kurzbeschreibung schriftlicher Daten,
- kurze Inhaltsbemerkungen, bei Telefonaten wurde nachträglich eine Zusammenfassung der Beiträge der Telefon-Partner aufgenommen,
- auffällige Randbedingungen der direkten Kommunikation.


Das Protokoll ermöglicht durch Stunden- und Minuteneinteilung eine genaue Identifizierung der Vorgänge.

(S. 152)
 
 

Abb. 21. Kommunikogramm eines komplexen Arbeitsplatzes in der Wissenschaftsorganisation




(S. 153)
 
 
 


 


Abb. 22. Zeitverlauf der Kommunikationsakte

(S. 154)

Gezählt wurde in den Interaktionsbündeln nach aufgabenorientierten Texten wie "Verfassen eines Briefs", "Terminabsprache", "Postbearbeitung". Der untersuchte Arbeitsplatz K1 wird unterstützt durch die Positionen K2 und K3. K4 bis K8 sind Arbeitsplätze des Instituts, die im Beobachtungszeitraum in Kommunikation mit K1 gestanden haben; bis auf den Kommunikationspartner K8 haben sie auch den Kontakt initiiert.

Da jeweils nur ein Gespräch stattgefunden hat (NT, ND), wurde die einfache Darstellung durch Kreise gewählt.

Am oberen Ende des Kommunikogramms sind die Postein- und ausgänge an verschiedene Partner pauschal aufgeführt.

Der innere Institutionskasten ist der Institutsrahmen, der äußere der Universitätsrahmen, innerhalb dessen im oberen Teil Kommunikationspartner (9, 10) aus der Verwaltung, im unteren Teil solche aus anderen Instituten dargestellt sind. Die links am Rand gezeigten Datengruppen (D) haben folgende Inhalte:
 
 

1 Institutsakten
2 Unterschriftenmappe
3 Universitätsdokumente
4 Adressenkartei 
5 Entwürfe
6 Merkzettel
7 Zeitschriftenhefte
8 Fahrpläne
9 Postmappe
10 Seminarunterlagen
11 Telefonbücher,-listen
12 Ablage
13 Diktiergeräte
W Gedächtnis

Die Zugriffspfeile sind aus Gründen der Übersichtlichkeit teilweise nicht in voller Länge einzeln durchgezogen.

Wir haben unter W auch das Gedächtnis von K1 mit aufgeführt, was linguistisch zunächst ungewöhnlich ist. Es entspricht aber durchaus dem Vorgehen im Abschnitt 4.1.1, wo wir ein Wissenskonzept in die Überlegungen einbezogen haben. Daneben legt das Kommunikogramm formal die Vorstellung nahe, daß Inhalte, die als Nachrichten von einem Kommunikationspartner kommen, nach der Entgegennahme und dem Verstehen irgendwo einen Effekt hinterlassen (etwa im Sinne einer Marke in einem PetriNetz). Gerade in beruflicher Kommunikation löst das Bearbeiten einer Akte, das Gesprach mit einem Partner oder das Lesen von Korrespondenz jeweils eine Aktivität aus, nach der der Inhalt

(S. 155)

irgendwo abgelegt, festgehalten oder gemerkt wird. Wie auch unter den anderen Datengruppen können Einträge von anderswoher ins Gedächtnis aufgenommen werden:
 
 






(Herausschreiben oder Merken einer Telefon-Nr.)
 


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