(S. 113)
4. 2. 1 Anonymisierung
Durch die zeitlich verzögerte und von weitgehend unbekannten Vermittlungsinstanzen an anonyme Adressaten vorgenommene Übertragung der fachlichen Äußerungen rückt der persönliche Autor so weit aus dem pragmatischen Zusammenhang, daß sich die Benutzung solcher syntaktischen Mittel eingebürgert hat, bei denen die Angabe von Personalformen nicht mehr nötig bzw. möglich ist (vgl. auch die Beispiele S. 68 und in Panther 1981). Die folgenden Sätze zeigen immer weiter zunehmende Anonymisierung.
Die Personalform kann durch man umgangen werden. Dadurch wird von der aktuellen SituativIl abstrahiert, was sich übrigens auch noch erhält, wenn man die Präteritum-Form benutzt:
Die verallgemeinernde Wirkung des Präsens
ist allerdings nicht zu übersehen. Im Satz (3) ist durch den Passivsatz
eine Personalangabe unmöglich. Im zweiten Teil ist eine Deagentivierung
(v. Polenz 1981) benutzt worden, durch die das Objekt in die Subjektstellung
kommt.
Inhaltlich verschwindet dann der Handelnde, das Ergebnis erscheint formal als auslösend, der ganze Prozeß erhält etwas Autonomes. v. Polenz macht mit Recht auf den sprachkritischen Aspekt in Sätzen wie etwa
Der Rechtsstaat erlaubt uns nicht, ... (in ähnlicher Form dort S. 108)aufmerksam. Wissenschaftstheoretische Konsequenzen hat solcher Stil zweifellos in theoriesprachlichem Zusammenhang (A1/H2 Komplexe z.B.), wie Herrmann (1982) am Beispiel von System-Akteur-Kontaminationen gezeigt hat. In Beispiel (4) ist der ehemalige Nebensatz in ein Verbalabstraktum überführt worden, der ehemalige Verbkern des Hauptsatzes ist morphologisch umgeformt mit einem Hilfsverb konstruiert. Alternativ wurde ein "ist zu"-Passiv benutzt, das in wissenschaftlichen Texten gehäuft auftritt.
Die inhaltliche Leistung solcher nicht-individuenbezogener Sprache ist die Betonung der Unabhängigkeit (Abstraktion) vom Einzelnen. Die Inhalte der fachsprachlichen Äußerung sind hinterfragbar durch Rekurs auf die Methode ihres Zustandekommens oder durch eigene Realisierung der Sachverhalte, nicht durch die Glaubwürdigkeit des Sprechers oder Mechanismen konkreter Partnermodellierung im Dialog.
Die kommunikative Wirkung dieser Wendungen kann
man recht gut prüfen, wenn man mögliche Rückfragen zu den
Sätzen prüft.
(1') War das ein aufregender Momente?
(2') dann erst?
(3') wie kommt das?
(4') wie wird er weiterverarbeitete?
Ganz sicher kann man (1') nicht als Nachfrage
zu (3) oder (4) verwenden, während (2') bis (4') relativ ähnliche
Äußerungen sind, die sich nur durch verschobene Aspekte unterscheiden.
(S. 115)
Eine Bestätigung des anonymen Charakters bildet die Beobachtung, daß die in letzter Zeit stark ins Blickfeld des Interesses gerückten kommunikativen Modalpartikeln (Weydt 1979, Franck 1980) in den meisten terminologiehaltigen fachsprachlichen Verwendungen abweichend sind (besonders natürlich bei weiter Kommunikationsdistanz):
* Die Schutzvorrichtung ist d o c h
zuvor heruntergeklappt worden
* Wenn die Flüssigkeit den Siedenpunkt
erreicht,muß man h a l t Magnesium zugeben
* Bei ungenauer Bohrtiefe kann man s
c h o n eine längere Schraube nehmen (nicht im Sinne von
"bereits")
Gegen die schriftliche Verwendung dieser Partikeln
gibt es in der Gemeinsprache (außer bei "halt") keine Einwände,
so daß der abweichende Charakter nicht direkt auf die Unverträglichkeit
von mündl./schriftl. Stil zurückzuführen ist. Offenbar spielt
aber der persönliche Sprachkontakt bei der Benutzung eine konstitutive
Rolle. Dieser ist hier nicht gegeben. Daher wirken die Sätze kommunikativ
abweichend.