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3.1.4 Sprecher/Hörer

Der Sprecher-Hörer-Bezug (Petöfi 1981,157) als elementarer Hintergrund eines Sprachprozesses rückt zunächst die Determinanten in den Blick, unter denen Sprecher fachsprachlich codieren. In der Tat kann man, L. Hoffmann folgend, typische Paare von Kommunikationspartnern als Bedingungen einer horizontalen Schichtung von Fachsprachen, damit aber auch als Abgrenzungskriterium gegen Gemeinsprache, annehmen. Von A bis E sieht er (L. Hoffmann 1976, 186) folgende Gliederung vor (vgl. auch S. 75):
 

A = Wissenschaftler  <-->  Wissenschaftler
B = Wissenschaftler (Techniker)  <-->  Wissenschaftler (Techniker)  <-->  wiss.-techn. Hilfskräfte
C = Wissenschaftler (Techniker)  <-->  wiss. + techn. Leiter der materiellen Produktion (S. 67)
D = wiss. + techn. Leiter der materiellen Produktion  <-->  Meister  <-->  Facharbeiter (Angestellte)
E = Vertreter der materiellen Produktion  <-->  Vertreter des Handels  <-->  Konsumenten  <-->  Konsumenten.


Hinter dieser Gliederung steht eine häufig realisierte Hierarchie in betrieblicher Funktion und Ausbildungsgang, die für technische Sparten etwa folgendermaßen aussehen könnte

Wissenschaftler - Ingenieur - Techniker - Verbraucher.
Nun legt die lineare Anordnung den Gedanken nahe, daß die Kommunikation mit Fachsprache nur zwischen Angehörigen einer Gruppe oder benachbarten Personen stattfindet, aber eine Kommunikation z.B. zwischen Wissenschaft und Konsum entweder nicht stattfindet oder keinen Typ darstellt oder nicht fachsprachlich ist.

Sicher ist die von Hoffmann vorgelegte Typologie ein erster Ansatz und aus technischen Fachsprachen abgeleitet. Gerade die großen Schwierigkeiten bei der Kommunikation über mehrere Stationen der Hierarchie zeigt aber, wie notwendig es ist, über die fachsprachliche Kommunikation zwischen Wissenschaftler und Techniker oder Ingenieur und Verbraucher nachzudenken. Außerdem ist bei jeder Kommunikation eine von den dominanten Kommunikationsmotiven abhängige Gerichtetheit feststellbar. Die Kommunikation Wissenschaftler  <-->  Techniker)  <-->   wiss.-techn. Hilfspersonal wird je nach dem Initiator (Frage, Eröffnung, Anliegen, Dienstweg etc.) in die eine oder andere Richtung asymmetrisch ausfallen.

Wenn auch L.Hoffmanns Schema für "Kommunikationstrager" nur eine Dimension (Stratifikation) neben "Abstraktionsstufe", "Sprachform" und "Milieu" (eine Art Fachklassen) ist, so müßte doch auch dieser Teil ergänzt werden um den Aspekt der Fachgleichheit oder Fachverschiedenheit, so daß die Spezifika der interfachlichen Kommunikation deutlich gemacht werden können, die die zunächst anzunehmende Homogenität z.B. der Kommunikation Wissenschaftler  <-->  Wissenschaftler in Frage stellt. Es bleibt aber mit Hoffmann festzuhalten (L.Hoffmann 1976, 31):

 
"Echte Fachsprache ist immer an den Fachmann gebunden, weil sie volle Klarheit über Begriffe und Aussagen verlangt. Vom Nichtfachmann (S. 68) gebraucht, verliert die Fachsprache ihre unmittelbare Bindung an das fachliche Denken".
Auch eine andere wichtige Beobachtung an den Fachsprachen beweist den Wert einer Konzentration auf den Sprecher-Hörer-Blickwinkel: Aus der Sicht des Hörers ist gerade bei schriftlichen fachsprachlichen Texten höherer Abstraktionsstufen die Person des Sprechers nicht greifbar (vgl auch S. 113, sowie Panther 1981 und v. Polenz 1981). Das wird meist erreicht durch Benutzung von Personalpronomen im Plural, durch Passivierung oder unpersönliche Formulierung. Umgekehrt wird bei derartigen Texten der Hörer vom Sprecher nicht individuell adressiert. Hier wird der Effekt sogar noch deutlicher. Ähnlich wie in Panthers Beispielen entsteht der Eindruck zunehmender Fachlichkeit (a-d) bei:  
 
a) Ich stelle fest,
b) Wir können feststellen,
c) Man kann feststellen,
d) Es ist festzustellen,

a) Sie werden vermuten,
b) Man kann vermuten,
c) Es ist zu vermuten,
d) .. . legt die Vermutung nahe,

Aus diesen Überlegungen heraus läßt sich durchaus ein wesentliches Merkmal für Fachsprache festlegen: Fachsprachen sind in weit geringerem Maße von der Individualität der Kommunikanten abhängig als gemeinsprachliche Äußerungen. Typisch dafür ist, daß zwar außerhalb der Fachsprachen von dichtersprachlichen Eigenschaften einzelner Individuen oder von einem Personalstil sinnvoll gesprochen werden kann, daß aber z.B. Arbeiten wie A. Götzes "Anfänge einer mathematischen Fachsprache in Keplers Deutsch" (Berlin 1919) mit der Nennung und Behandlung einer Person nur einen wichtigen Zeitpunkt in der Fachsprachen-Entwicklung angeben, aber an der Person und einem Personalstil nicht unmittelbar interessiert sind.

Dieser negativen Abgrenzung - Fachsprache als kommunikantenunabhängige - steht eine positive Gruppenkennzeichnung gegenüber in den Bezeichnungen "Arbeitssprache" und "Berufssprache" (S. 69). Festgemacht an den im weiteren Sinne Sprecher/Hörerorientierten Situationen "Arbeit" und "Beruf" wird die Fachsprache als aufgabenspezifisch charakterisiert. Hinter diesen Termini steht die Trennung von Arbeit und sozialer Interaktion als definitorische Voraussetzung und die Behauptung der relativen Homogenität dieser Situationen, so daß sie für eine Klassenbildung ausreicht. Hier zeigt sich aber bereits eine Grenze der Definitionsversuche von Fachsprache durch Sprecher/Hörereigenschaften, denn das eigentliche Spezifikum des letztgenannten Arguments ist die nichtsprachliche Situation.

Daß die Grenzen zwischen personen- und gruppenbezogenen Definitionsversuchen fließend sind, zeigt das Beispiel der Fachsprache in der Werbung. Bisweilen zeigen Kataloge (z.B. der Unterhaltungselektronik) eine Flut von fast wissenschaftlich aufgemachten Daten, die nur für einen verschwindend kleinen Bruchteil der Interessenten aussagekräftig sind. Für den Rest der Leser fungieren sie als Qualitätssignale mit ausschließlich affirmativem Wert. Diese Angaben können zweifellos fachsprachlich gelesen werden, wie sie auch werblich gelesen werden können, und es ist eigentlich auch nicht die Situation in einem gängigen Sinne, die das fachsprachliche bzw. nicht-fachsprachliche Verstehen auslöst, sondern die Tatsache, daß der eine Leser ein Käufer, der andere ein Hi-Fi-Spezialist ist.

Vom Sprecher-Blickwinkel aus argumentieren auch die Bezeichnungen "Gruppensprache" und "Sondersprache". Beide werden allerdings in der neueren Forschungsperiode nicht mehr im terminologischen Raum "Fachsprache" benutzt, da "Gruppensprache" zunehmend als Unterbegriff für Soziolekt aufgefaßt wird und erst recht "Sondersprache" soziolinguistisch gedeutet wird. Verschiedentlich wird "Sondersprache" geradezu mit "Soziolekt" identifiziert (vgl. Bausch 1980, 359, Möhn 1980, 384). In der Tat ist ein das allgemeine Verständnis ausschließender (Berufs-)gruppen-Aspekt auch bei einer Vielzahl von Fachsprachen unübersehbar, aber die Exklusivität des Verständnisses ist keine Determinante von Fachsprache. Daher sprechen wir zwar häufiger von sonder- und gruppensprachlichen Aspekten oder Zügen der Fachsprachen, nicht aber von Fachsprachen als Sondersprachen.
 
 


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