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(S. 106)





4.1.3 Lexikographie

Die Darstellungsprobleme von Fachwortschatz sind in zwei Gruppen einteilbar, in Abhängigkeit von der angestrebten Sorte des Nachschlagewerks. Zwar versteht man unter Lexikographie im engeren Sinne haufig nur die (Wissenschaft und) Technik des Verfassens von "Wörterbüchern", also sprachbezogenen Nachschlagewerken. In diese Textgruppe fällt auch der größere Teil der Darstellungsprobleme von Fachwörtern.

Daneben darf nicht vergessen werden, daß auch in sachorientierten Nachschlagewerken ("Lexika") Probleme der Darstellung von Fachterminologie auftreten.

Zunächst einige Anmerkungen zur Terminologie in Lexika:

In der Regel geben Lexikoneinträge keine expliziten sprachlichen Informationen. Einerseits sind aber gewisse Angaben dringend notwendig für eine sinnvolle Kommunikation über den Sachbereich (morphologische Eigenschafen, wie fachsprachliche Plurale: Sände, gramm. Geschlecht z. B. für Text-in-Funktion; semantische Gliederung Lexikon1, Lexikonusw.). Ein Fachmann wird solche elementare Angaben auch eher dort suchen und finden wollen als in fachsprachlich immer stark selektierenden einsprachigen Wörterbüchern. Andererseits liefern Lexika diese Informationen oft implizit:

1.1 Eingrenzungen

Idiomatik ist die Lehre von den Idiomen. Idiomsammlungen werden auch Idiotiken genannt. Idiome sind Sprachzeichenkombinationen mit idiomatischen Bedeutungen, z. B. Blaustrumpf, kalte EnteJ (...). Die Idiomatik (...)
Die wichtigsten allgemeinen Termini außer Idiomatik und Idiom sind Phraseologie (...)
(Lexikon der Germanistischen Linguistik Tübingen 2. Aufl. 1980, 181/182).
 

(S. 107)


Durch die eher onomasiologische Anordnung der Terminologie in Lexika hat ohnehin das Stichwort in einem Lexikon keine so dominierende Funktion wie das Lemma eines Lexikons.

Im genannten Beispiel wird durch den Kontext das grammatische Geschlecht von Idiomatik gegeben. Eine Synonymrelation zu Phraseologie wird aufgeführt, Plurale werden gebraucht etc. Implizit wird ein Autor durch die Auszeichnung seines Lexikonbeitrags nach Registereinträgen ebenso an Fragen der terminologischen Repräsentativität interessiert sein müssen wie ein Lexikograph in größerem Umfang bei der Auswahlproblematik.

Bei vielen Lexikonbeiträgen werden aber noch weitergehende semantische Angaben (Oberbegriff, Antonym, Kohyponyme, Überschneidungen etc.) geliefert, teilweise sogar das ganze terminologische System, das im besprochenen Gegenstandsbereich verwendet wird, aufgefiihrt. Daneben finden sich fast immer Angaben zur Verbindlichkeit (Norm, Definition, Warenzeichen etc.) der Ausdrücke.

Wenn auch vieles in der Unterscheidung von Wörterbuchtypen noch völlig unklar ist und gerade auf dem Gebiet der Sach-Nachschlagewerke noch wenig systematische Vorschläge vorliegen (vgl. Wiegand 1977, Wiegand/Kucera 1981 und die dort angegebene Literatur), so ist doch zu überlegen, ob nicht auch in einem größeren Teil der Fachlexika, nicht zuletzt aus Ökonommegründen (unter Verwendung von Abkürzungen, Spezifizierungsschemata) ein sprachlich orientierter Vorspann jedes Stichworts ratsam ist. Jedenfalls sollen folgende Punkte nicht zuletzt deshalb einer genauen Prüfung unterzogen werden, weil die Sach-Lexika wiederum oft genug Vorlage von Sprachwörterbüchern werden.

Dagegen scheinen uns die häufig anzutreffenden etymologischen Auflösungen der lat./griech. Kunstwörter wenig informativ, da meistens keine eigentliche Wortherkunft angegeben werden kann, sondern nur die isolierte Bedeutung der Wortbestandteile in den Ursprungssprachen.

Ganz anders liegen die Verhältnisse bei Fachwörtern in einsprachigen Wörterbüchern. Beispiele neuerer lexikographischer Unternehmen haben gezeigt, daß es mit der eher sporadischen Aufnahme von Fachlexik in älteren Werken heute nicht mehr getan ist (Wiegand/Kucera 1981). Zwar sind die in den Vorworten aufgemachten Ansprüche immer noch ziemlich überzogen bis pauschal:
 

"Es bezieht alle Sprach- und Stilschichten ein, alle landschaftlichen Varianten, (...), und alle Fach- und Sondersprachen, insofern sie auf die Allgemeinheit hinüberwirken." (Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache. Mannheim 1976, Bd. l, S. 1).

"Um dem Umstand Rechnung zu tragen, daß die technische und wissenschaftliche Entwicklung immer rascher voranschreitet, (. . .), werden Fremdwörter besonders ausführlich erläutert und der Aufnahme von Fachwortgut breiter Raum gewährt" (Brockhaus Wahrig. Deutsches Wörterbuch in sechs Bänden. Wiesbaden 1980, Bd. 1, S. 5). Aber der Anteil an Fachwörtern ist tatsächlich enorm gestiegen. Diese an sich erfreuliche Entwicklung geht aber einher mit wachsender Systemlosigkeit der Einträge. Zwar scheint es mir übertrieben, wenn man verlangt, daß ein Wörterbuch verfügen soll über "eine (explizite oder implizite) Fachlexikontheorie, die sich auf eine bestimmte Fachsprachentheorie stützt, und nachvollziehbare Regeln für die Auswahl der Lemmata (. . .)" (Wiegand/Kucera 1981).

Es folgt bei Wiegand/Kucera eine Liste von Entscheidungen, auf die diese wissenschaftliche Grundposition Einfluß haben soll.

Eine solche Fachlexikontheorie ist derzeit aber mangels konsistenter Fachsprachentheorien nicht zu entwickeln. Daher sind auch die  (S. 109)  Lösungen von folgenden Problemen (Wiegand/Kuvera 1981, vgl. auch Wiegand 1977) nicht daraus ableitbar:

- Auswahl der Lemmata

-  Schreibweise (die von der Gemeinsprache abweicht)
-  grammatische Kennzeichnung
-  Explikationsstrategie

Es steht aber außer Zweifel, daß die hier genannten Kriterien systematisch vorentschieden werden müssen, wenn Fachlexik in einsprachige Wörterbücher aufgenommen wird.

Besonders schwierig ist freilich die Auswahl der Lemmata. Da Fachsprachentheorien bisher nicht festlegen können, was genau ein Fach ist (Kalverkämper 1979), muß wohl von einer Aufzählung von Fachgebieten ausgegangen werden, denen man die aufgenommenen Fachwörter (oder fachsprachlichen Varianten) lückenlos zuordnet. Allenfalls können zusätzlich Fächergruppen zusammengefaßt genannt werden, wie "naturwissenschaftlich". Schon die allgemeine Kennzeichnung "fachsprachlich" bei ganz unsicherer Zuordnung auf spezielle Fächer, sollte nicht gebraucht werden, weil für den Benutzer sonst jede Kontexteinbettung von abstrakter wissenschaftlicher Veröffentlichung bis zum Laborslang eines jeden Sachgebiets offen steht. Nicht umsonst ist die Frage der Konsistenz des Fachsprachenbegriffs viel diskutiert worden.

Wenn aber von einer Sachgebietsliste ausgegangen wird, lassen sich auch klare Anteile festsetzen und die Ausgewogenheit der Gebiete untereinander läßt sich wenigstens abschätzen. Ableiten könnte mall die anteilige Repräsentierung der Fachgebiete z. B. aus einer zeitungssprachlichen Stichprobe als Nachweis für den Grad des Eindringens in die Öffentlichkeit. Ein anderes Mittel der relationalen Gewichtung der Fächer gibt es meines Erachtens (S. 110) Eigenschaften von Fachsprachen nicht; die Erfahrung hat gezeigt, daß Angaben über den Gesamtumfang eines jeweiligen Fachwortschatzes, untereinander bisweilen um 104 Wörter differieren, ganz abgesehen von der lexikologischen Fragwürdigkeit des Begriffs "Umfang des Fachwortschatzes xy" in bezug auf die Größen Fachzugehörigkeit, Lexikalisiertheit und zeitliche Staffelung. Leider kann man bei vorhandenen Wörterbüchern die Anteile der einzelnen Fachsprachen nicht insgesamt prüfen, sondern findet nur punktuelle Lücken bzw. hat den unsicheren Eindruck von Über- oder Unterpräsentierung bestimmter Sachgebiete.

Neben der Entscheidung über die Größenordnung ist die der Gleichmäßigkeit innerhalb eines Fachs eine weitere schwierige makrostrukturelle Frage. Auch bei der besten Korpusbasierung muß Gleichmäßigkeit noch nicht automatisch erzielt sein.

Vielmehr muß ausgehend von vorhandenen Termini systematisch nach Ober-/Unter-Begriffen, Antonymen, Kohyponymen etc. im semantischen Raum und im fachterminologischen System gesucht werden. Außerdem muß der morphologische "Spielraum" besonders im Bereich der Bestimmungswörter und Präfixe sorgfältig abgeprüft werden, da das entsprechende Wortgut nicht schon ohnehin in Lexika zusammensteht.

Eine schon von Wiegand/Kucera genannte gute Hilfe sind die verschiedenen Normungswerke, die systematisch ausgewertet und die z. B. bei der Richtung der Synonymverweisungen in Wörterbüchern zusätzlich ausgenutzt werden können. Genormte Ausdrücke sollten gekennzeichnet sein.

Wie dieselben Verfasser gezeigt haben, gibt besonders die Fachterminologie der Chemie Anlaß, systematisch Suffixe aufzunehmen (-on, -en, -ase, -in, -it, -id, etc.). Sie machen außerdem (implizit) darauf aufmerksam, daß pragmatische Hinweise vor allem für den nicht sachkundigen Benutzer wichtig sind. Das gilt im selben Umfang auch für andere Fachsprachen. Ein Beispiel aus der Musik soll das verdeutlichen:

sul ponticello steht im Notentext, ist nur dort sinnvoll und für den Spieler zur korrekten Wiedergabe entscheidend wichtig.    (S. 111)

Flageolett steht nie im Notentext, sondern wird dort mit "o" umschrieben, aber immer "Flageolett" gelesen. Für den Aufführenden ist die Angabe  nur bedingt wichtig.

colla parte ist eine kompositorische Eigenart, die bisweilen im Notentext steht, für den Spieler aber wenig Konsequenzen hat.

Bei derartigen Angaben (die hier gegebenen pragmatischen Erklärungen sind sicherlich für ein Wörterbuch zu breit) muß allerdings, wie auch bei der Ausführlichkeit der Bedeutungserklärungen, abgewogen werden, ob man den Raum, der dafür nötig ist, durch weniger Lemmata erkaufen muß oder ob Wörterbücher mit gestiegenen fachsprachlichen Ambitionen in Zukunft nicht auch erheblich umfangreicher sein müssen.
 


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