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(S. 63)


3.1.3 Inhalt

Andersartige Schwierigkeiten treten auf bei einem der am Referenzbereich orientierten Bezeichnungen: Technolekt. Während Auburger diese Bezeichnung für ein "fachsprachliches Subsystem" (neben Axiolekt und Gnoseolekt) , "in einem technologischen Interesse an bestimmten Wirklichkeitsbereichen" (Auburger 1981, 155) benutzt, wird von anderen damit der engere Begriff der "Fachsprachen der technischen Facher" bezeichnet.

Nun zum Terminus "Fachsprache" selbst: Durchaus berechtigte Kritik daran hat vor allem Kalverkämper (Kalverkämper 1979) vorgetragen, der es kritisiert, daß in der Fachsprachen-Forschung über das Fachkriterium kaum Stichhaltiges zu finden sei, die Fachlichkeit geradezu den Status eines Axioms ("Axiom von der intuitiv einleuchtenden Fachlichkeit eines Bereichs") besitze. Das Problern stellt sich in zwei Spielarten: Zunächst ist fraglich, ob bei dem Gegenstand, den man mit Fachsprache meint, die Fachlichkeit wirklich das primäre ist, oder nicht vielmehr textsortenspezifische, semantische, pragrnatische oder sonstige Argumente. Zum zweiten, nehmen wir einmal an, man wollte an der Fachlichkeit grundsätzlich festhalten, ist die Frage unklar, was eigentlich Fächer konstituiert, ob z. B. Naturwissenschaft ein Fach ist, oder Chemie, oder nur die organische Chemie oder gar nur die Chemie der Aminosauren. Entsprechend stellt sich dieselbe Frage bei der "Fachsprache der textilverarbeitenden Industrie" bezuglich deren Konsistenz und Einheitlichkeit bzw. Abgrenzbarkeit.

Beginnen wir die Prüfung dieser Kritik in umgekehrter Reihenfolge: Die Abgrenzung von sehr kleinräumigen "Fachsprachen" in Titeln von Veroffentlichungen ist natürlich kein Argument. Sie sind viel richtiger verstanden als Korpuseingrenzung, die ja auch meist noch räumlich wie zeitlich vorgenommen wird (Titelbeispiel: G. Bretz, Die mundartliche Fachsprache der Spinnerei und Weberei  (S. 64) in Heltau, Siebenbürgen, Marburg 1877), nicht aber als Nachweis, nicht einmal als Behauptung der Abgeschlossenheit und vor allem Vollständigkeit der betreffenden (freilich existentiell prasupponierten) Fachsprache. Wissenschaftlich valide ist eine solche Arbeit selbstverständlich nur dann, wenn sie sich wenigstens als ein Beitrag zur Erforschung einer("größeren") Fachsprache versteht, etwa der der Textilindustrie, der Technik etc., für die dann aber eine Abgrenzbarkeit oder Exnsistenz vorhanden sein muß, wenn nicht allein sprachpraktische Ziele vorherrschen (Kalverkämper gesteht der fachlichen Sprachpraxis intuitive Abgrenzung durchaus zu). In der Tat stellt sich dann aber das Problem der Fachlichkeit erneut.

Gliederungsvorschläge von seiten der Klassifikationslehre (Dahlberg 1975, Schnegelsberg 1977) können nur Vereinbarungscharakter haben und sind erkenntnistheoretisch nicht tragfähig. Sie bergen zudem die Gefahr eines Zirkels (Dahlberg: Ein Fachgebiet liegt dann vor, wenn aus der jeweiligen Benennung des Gebiets zu ersehen ist, daß hier ein Tätigkeitsbereich mit einem Gegenstandsbereich vorhanden ist).

Nun ist mittlerweile schon verschiedentlich (Kalverkämper 1979, Auburger 1981) aufgezeigt worden, daß der Begriff der Fachlichkeit bislang ein heuristischer ist. Und bezeichnenderweise konnte die "Fachlichkeit" und damit der Terminus "Fachsprache" durch die o. g. Arbeiten weder methodisch auf feste Füße gestellt werden, noch konnte die prinzipielle Unbrauchbarkeit dieses Terminus oder Mißverständlichkeit überzeugend dargestellt werden. Gerade darin bestand m.E. bisher ein Konsens der Fachsprachen-Forschung, daß der Fachsprachen-Begriff wie etwa auch die Termini "Gesellschaft", "Willen", "Begabung" oder andere relative Ausdrucke aus den Gesellschaftswissenschaften ein heuristischer ist, der nicht nur auffällige Randunschärfen hat, sondern sich auch unter entsprechenden extremen wissenschaftlichen Aspekten in der (All-)Gemeinsprache verflüchtigen kann (v. Hahn 1971, 124). Dessen ungeachtet ist der Fachsprachen-Begriff ein bis heute höchst wirkungsvoller und forschungsmotivierender gewesen und beweist gerade im pragmalinguistischen Kontext seine Vitalität. Diese Beobachtung wie auch theoretische Überlegungen zur Vagheil (S. 65) (Pinkal 1980, s. auch Abschnitt 4.1.2) lassen Vorsicht angeraten sein, vage Ausdrucke von vornherein zu disqualifizieren.

Es scheint uns außerdem ein starker Zusammenhang zu bestehen zwischen der Beschreibungsmethode bzw. dem Erkenntnisziel an Fachsprachen und dem Prazisierungsanspruch. Strebt man eine lexikalische oder sogar statistische Darstellung an, so stellt sich viel eher die Exklusivitätsfrage und die Abgrenzung ist methodisch notwendig für die Evaluierung der statistischen Werte. Zielt die wissenschaftliche Absicht dagegen auf eine kommunikative oder pragmatische Beschreibung des Sprachzusammenhangs in einer Arbeitsumgebung, so trägt der Fachsprachenbegriff trotz seiner Unpräzisiertheit wesentlich weiter.
Um nicht wieder in die m. E. zur Zeit fruchtlose Diskussion über Fachsprache und Gemeinsprache kontrastierend einzugreifen, stützen wir uns in diesem Buch auf folgende tentative Festlegung von ,,Fachlichkeit":

Fachlich sind solche, besonders instrumentelle, Hamdlungen, die in zweckrationaler, d.h. nichtsozialer Absicht ausgeführt werden.

"Instrumentales Handeln richtet sich nach technischen Regeln, die auf empirischem Wissen beruhen. Sie implizieren in jedem Fall bedingte Prognosen über beobachtbare Ereignisse, physische oder soziale; . . . Das Verhalten rationaler Wahl richtet sich nach Strategien, die auf analytischem Wissen beruhen. Sie implizieren Ableitungen von Präferenzregeln (Wertsystemen und allgemeinen Maximen....) Zweckrationales Handeln verwirklicht definierte Ziele unter gegebenen Bedingungen" (Habermas 1968, 62).

Fächer sind Arbeitskontexte, in denen Gruppen von fachlichen zweckrationalen Handlungen vollzogen werden. Fachsprachen sind demnach sprachliche Handlungen dieses Typs sowie sprachliche Außerungcn, die konstitutiv oder z.B. kommmentierend mit solchen Handlungen in Verbindung stehen (vgl. auch v. Hahn 1981 Vorwort, sowie die Diskussion S.50f.).

Diese Festlegung gibt nun natürlich eine stringente Binnengliederung von Fächern nicht ohne weiteres her. Denn es ist aussichtslos, vom Begriff des fachlichen Handelns oder einer fachlichen Handlung her Komplexionen wie "Fächer", "Fachgebiete", "Fakultaten" oder dergleichen durch Verknüpfungs- oder Abtrennungsregeln (S. 66) festzulegen.  Mit Recht zitiert Kalverkämper (Kalverkämper 1979, 64) Popper und seinen lakonischen Hinweis, daß es Fächer gar nicht gibt. Aber freilich mit der Einschränkung, nicht in einem definitorischen Wissenschaftsgliederungsentwurf, also keine "Fächer per se". Dagegen werden deren spezifischen Problemstellungen und Methoden anerkannt und entsprechend ließe sich eine heuristische Fachgliederung aufgrund gleicher oder ähnlicher Problemlösungsstrategien (v. Hahn 1981, 5 f.) entwickeln. Heuristisch wieder nur deshalb, weil das Fachlichkeitsproblem von "Fach" auf die Strategien verschoben ist, worunter auch die Methoden fallen. Auf diesen Überlegungen lassen sich aber z. Z. allenfalls Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften einigermaßen exakt voneinander trennen.

Der Stand der theoretischen Diskussion über den Fachsprachenbegriff läßt sich im übrigen so charakterisieren, daß entweder sehr formale Begriffe verwendet werden, deren Tragfähigkeit dann bis hin in die sprachpraktische Anwendung nicht nachgewiesen werden kann oder sogar von Anfang an fraglich ist. Oder es wird versucht, operationale Teilabgrenzungen bestimmter Fachsprachen vorzunehmen, wodurch die Begriffe weitgehend isoliert stehen bleiben bzw. ein systemoider Charakter des Gesamtgebiets Fachsprache (-Gemeinsprache) nur auf der Ebene sprachpraktischer Intuition erhalten bleibt.
 
 
 


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