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(S. 46)
 

2.9  Das 20. Jahrhundert
 


Aus Gründen der zeitlichen Nähe seien nur einige Anhaltspunkte der Entwicklung genannt, eine historische Einordnung, Relativierung und Sichtung erscheint schwierig. Immerhin sind Daten in dieser letzten Periode meist überhaupt erhebbar.

Ein Entwicklungsaspekt könnte die formale Optimierung der fachlichen Kommunikationsprozesse sein. In früheren Epochen hat man jeweils einen der folgenden Parameter auf Kosten eines anderen verbessert:
 

Entfernung
Teilnehmerzahl
Zuverlässigkeit
Tempo


Das hat in der frühen Neuzeit zu einer gewissen Vernachlässigung des Übertragungstempos geführt. Durch Nutzung der Elektrizität, später der Elektronik hat dieser Parameter "aufgeholt" ohne daß nach anfänglichen Schwierigkeiten mit der Zuverlässigkeit und Teilnehmerzahl die anderen Werte dabei "bezahlen" mußten.

Die Verwendung von Fachsprache am Arbeitsplatz ist auf unzählige Medien verteilt worden (vgl. Leckebusch 1981,138): Das Büro der 80er Jahre ist danach ausgestattet mit:
 

Telefon, Fernschreiber, Postverkehr, Terminal, Fernkopierer, lokaler Kopierer, Diktiergerät, Gegensprechanlage, betriebliche Rufanlage, Mikrofilm/Mikrofiche, aber auch Papierunterlagen, Karteien, Zettel, Tafel, Bücher.
Allein auf Wirtschaft und Verwaltung entfallen dabei 1980 15,8 Millionen Postsendungen pro Tag (BRD).

Aber auch inhaltlich hat sich die Fachkommunikation erheblich erweitert, wie Möhn in zahlreichen Publikationen immer wieder gezeigt hat. Mit der Erweiterung der fachbezogenen Forschungsstätten auf allen Ebenen (Universität, Großforschungsstätten, Firmenforschung, kommerzielle Forschungsinstitute) ist das Fachwissen in den letzten 100 Jahren exponentiell gestiegen. Der Kommunikationsbedarf der Wissenschaft ist rapide gestiegen: Allein für die Sprachwissenschaft führen die CCL (Current Contents Linguistik, (S. 47) Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt/Main 1978ff.) mehr als 260 meist vierteljährliche direkt einschlägige Fachperiodica auf, zu denen noch einmal wenigstens 50 nicht mehr erscheinende Z.eitschriften aus diesem Jahrhundert gezählt werden könnten, sowie eine kaum mehr angebbare Zahl von Publikationsorganen einflußreicher Nachbargebiete.

Die Zahl der Kongresse, Tagungen, Workshops etc. ist kaum übersehbar und hat in vielen Feldern zu einem wiederum abgeleiteten Phänomen der "invisible colleges" (Neubauer et al. 1972) geführt, d.h. Gruppen von fachlich führenden Wissenschaftlern, die auf privaten Treffen, durch direkte telefonische Kommunikation oder durch Vorweginformation (über im Erscheinen begriffene Publikationen) effiziente,  wenn auch restriktive Fachkommunikation vollziehen.

Im Gefolge der ausgeweiteten Forschung ist der nachziehende Bedarf an Aus- und Weiterbildung auf allen Ebenen enorm angestiegen. Nicht nur die Information aus Fachbüchern, speziell dazu entwickelter Lehrliteratur, sondern auch die betriebliche praktische Ausbildung, die Populärwissenschaft in denMassenmedien, die Einrichtungen der übergreifenden Organisationen von Handwerk und Wirtschaft, alle diese Institutionen haben einen unübersehbaren Neubedarf an Fachsprache und einen riesigen fachlichen Informationsumsatz aus der fachlichen Umwelt.

Daran angehängt sind Aktivitäten, die metasprachlich diesen Bereich wiederum durchforschen, beobachten und regulieren: Fachsprachenlinguistik, Normung (vgl. etwa schon Wüster 1931) und Sprachlenkung, Lexikographie (vgl. Wiegand 1977) und Fachsprachendidaktik (vgl. Beier/Möhn 1981). Jede dieser Teilaktivitäten ist wiederum auf eine spezifische Terminologie angewiesen. Dabei ist, wie wir später (S. 59) zeigen, das Tempo der Erzeugung und des "Alterns" von Fachliteratur rapide gewachsen.

Nur einige Stichworte seien zur elektronischen Datenverarbeitung gegeben: Ihre Nutzung steht zweifellos z. Z. vor einer strukturellen Wende. Aus dem Rechner als speziellem, vorwiegend numerischen Werkzeug von Fachspezialisten wird langsam auch ein hochflexibles und generelles Hilfsmittel (vgl. Grosz 1982) für den gelegentlichen und ungeübten Problemlöser von Fachfragen. Das führt zu  (S. 48) einer grundsätzlichen Umstrukturierung des Zugangs zum Rechner, also auch seiner kommunikativen Eigenschaften. Diese werden sich in Zukunft weit mehr als bisher erwartet um den direkten schriftlichen fachsprachlichen Dialog zwischen Benutzer und Rechner gruppieren. Im Zusammenhang mit der Lösung dieses Problems wird die Fachsprachenforschung, soweit sie sich mit diesem Problemkreis auseinanderzusetzen gewillt ist, erneut mit dem Ineinandergreifen von Fachsprache, Fachwissen, fachlichen Problemlöseprozessen etc. befassen müssen, da die Kornmunikationsfähigkeiten der nächsten Rechnergeneration ("Artificial Intelligence") auf einer Interaktion von kommunikativen, kognitiven und sprachlichen Aspekten beruhen wird (vgl. v. Hahn 1983).
 


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