2.8 Das 19.Jahrhundert
Das 19.Jahrhundert, hier vielleicht treffender der Zeitraum von 1820 bis 1918, ist aus dern Blickwinkel der Geschichte der Fach- sprache gekennzeichnet durch ein
"Die Resultate dieser Versammlungen für das öffentliche Leben werden regelmäßig überschätzt; eine Förderung der Wissenschaft darf man von ihnen nicht erwarten, denn diese wird durch die Kunst Gutenbergs vermittelt".Eine allgemeine Dilation ist die Folge weiterer Abstraktion der Fachkommunikation. Sie wurde eingeleitet Jahrhunderte früher
Die mittelbaren fachsprachlichen Prozesse nehmen in einem vorher nicht gekannten Maß zu, das Informationsangebot wächst gigantisch. Die 7 254 687 Besucher der WeltaussteIIung 1873 in Wien stehen vor 39 500 Ausstellern, gleichzeitig werden 12 Kongresse abgehalten. Auch die räumliche Weite der Fachkommunikation nimmt (S. 44) erheblich zu. Die Wichtigkeit englischer Literatur ist überwältigend, gegen Ende des Jahrhunderts kommt langsam Amerika hinzu; Deutschland erwirbt Kolonien mit einem bedeutenden Bedarf an Technologie, Wirtschaftsentwicklung und Organisation. Zwar wird gerade aus den ersten drei Jahrzehnten des Jahrhunderts eine ganz ungewohnliche Reiseaktivität von Deutschen nach Frankreich, aber vor allem nach England festgestellt. Es scheint allerdings eher so, als sei dies ein letzter Versuch, den direkten mündlichen Zusammenhang aufrechtzuerhalten, vor allem in einer Zeit, in der die Publikation noch nicht den steigenden Informationsbedürfnissen nachgekommen ist. Unter dem Stichwort "Fabriken und Manufakturen" bemerkt Meyers Conversationslexikon von 1870 (Band 6, S. 503):
"Die wesentlichste Scbranke, welche hier z. Zt. noch das vollständige Eindringen des Fabriksystems in das Handwerk hindert, ist der Mangel an Kommunikationsmitteln"Gemeint sind hier zwar hauptsachlich Transportmittel, aber auf sprachliche Kommunikation läßt sich diese Beschreihung auch sinngemäß anwenden.
Die Postentwicklung stellt sich auf die "neue Zeit" ein. 1870 wird die Postkarte zugelassen, 1865 bereits die Postanweisung. 1876 umfaßt das Telegrafennetz in Deutschland 181 253 km Leitung. Über die 388 Büros werden in diesem Jahr 13 576 064 Telegramme übertragen.
Die EisenbahnentwickIung seit 1831 (Entwurf eines nationalen Eisenbahnprojekts durch List) bringt zusammen mit dem Automobilbau (seit 1885) erste technische Voraussetzunen (Treue 1970 b 504) für die Bewältigung der sich anbahnenden allgemeinen kommunikativen Dilation.
Streckennetz:
1840 | 1855 | 1860 | 1870 | 1875 | 1910 |
unter 50 km | 7900 km | 11331 km | 16800 km | 27800 km | 59000 km |
Beförderte Personen in Berlin (und Umgebung):
1866 13 Mio
1913 1235 Mio
(S. 45)
Das ist eine Steigerung fast um das hundertfache, während die Einwohnerzahl sich nur knapp versechsfachte. Es steht außer Zweifel, daß die starke Bewegung in solchen Zahlen auch eine Folge der beruflichen Distribution von fachlichen Texten, d.h. Zeitungen, Zeitschriften, Berichten, Akten oder durch die neugeschaffenen Arbeitsplätze auf dem Gebiet der Textmultiplikation (drucken, schreiben, abschreiben etc.) in Industrie, Handel und Gewerbe ist. Der Jahresverbrauch an Papier pro Kopf in Deutschland beläuft sich um 1870 auf 4kg. Die auf einer Handpresse herstellbaren 2000 Drucke pro Tag (durch 2 Arbeiter) werden als bei weitem zu wenig angesehen, so daß sich die "Schnellpressen" (erfunden durch Koenig 1812) in kurzer Zeit einführen.
Die Buchproduktion entwickelt sich wie folgt:
1570 | 1600 | 1618 | 1650 | 1700 | 1750 | 1800 | 1840 | 1850 | 1875 | 1900 | 1913 | 1927 | 1965 |
299 | 791 | 1293 | 725 | 951 | 1219 | 3335 | 6904 | 9053 | 12516 | 24792 | 34871 | 37886 | 27247 (BRD) |
Nach Fächern gegliedert ergibt sich ungefähr folgende Verteilung
(Meyers Conversationslexikon a. a. O. "Buchhandel")
Fach
|
1800
|
1840
|
1873
|
Wissenschaften (ohne Theologie) | 35% | 34,5% | 34.4% |
Wirtschaft | 5,5% | 4,1% | 4,7% |
Lehrmittel | 8,1% | 8,6% | 10,4% |
Technik | 2,7% | 5,4% | 5,0% |
Zur Auffächerung und Nutzbarmachung der Literatur wird mit J. Petzholdts Bibliotheca bibliographica, Leipzig 1866 die erste Biblio-Bibliographie größeren Stils geschrieben.
Innerhalb der oben grob abgeteilten Gebiete hat sich im Laufe der Zeit eine ungeheuere Differenzierung eingestellt. Um 1870 nennt eine Wirtschaftsstatistik (Meyers Conversationslexikon, 1870. Stichwort "Gewerbestatistik") nicht weniger als 454 fachspezifische Typen von Fabrikationsstätten.