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2.7 Das 18.Jahrhundert

Das 18.Jahrhundert steht im Zeichen der Herausbildung der modernen Fachsprachen durch Entwicklung der typisch neuzeitlichen Organisationsformen von Technik und Wissenschaft. Die technisch-wirtschaftliche Entwicklung strebt sehr bald von der Organisationsform des "Verlegens" zu den "Manufakturen". Halle (Joh. Sam. Halle, Werkstäte der heutigen Künste, oder die neue Kunsthistorie. Erster Band Brandenburg und Leipzig 1761, 361) bemerkt dazu 1761:
 

" Unter dem Worte Manufaktur ist man gewohnt, diejenigen neueren Waaren zu verstehen, welche von Privatpersonen, die nicht unter Zünften stehen, verfertigt werden, und wozu merenteils ein Kaufmann den Verlag hergibt, die Aufsicht führt, und daraus derselbe den Nuzzen für seine Person zieht. Hierher gehören die Materien der Seide, Baumwolle, das Flachses u. s.w. Sobald man aber das Feuer und den Hammer zu den Metallen gebraucht, bekommen dergleichen Privatanstalten den Namen einer Fabrike".


Treue faßt zusammen:

"Unzünftige, weiterverarbeitende, vorindustrielle, zentralisierte, innerbetrieblich arbeitsteilige Großbetriebe mit mindestens 10 Arbeitern unter Vorherrschaft der Handarbeit" (Treue 1970a. 520). (S. 36)

In dieser Begriffsbestimmung Treues ist schon ein für diese Wirtschaftsform konstitutives Kommunikations- und Informationsnetz mitgefaßt: Absprache mit den vorherigen und nachfolgenden Bearbeitern, Berichtsabhängigkeit durch innerbetriebliche Hierarchie, Organisationsaufgaben in einer Hand unabhängig von der Produktion.

War die Mobilität von Wissen bislang garantiert allein durch Reisen, Handel und Kurierwesen, so wird jetzt durch eine starke Verdichtung des Postnetzes die Kommunikation erheblich vereinfacht. Dieses Postnetz stellt auch insofern wieder eine Verallgemeinerung dar, als es von jedem benutzt werden kann und nicht wie vielfach bisher, branchenspezifisch aufgebaut ist. Nach 1750 wird, erstmals seit etwa 1500, wieder ein qualitativer Sprung im Straßenbau möglich. 1788 wird die erste Staatschaussee von Magdeburg nach Leipzig gebaut. 1781 werden Straßenverwaltungen eingerichtet. In der Folge bilden sich Chausseebau-Aktiengesellschaften. Damit wächst langsam der Grundstock der ausschließlich mit kommunikativen Leistungen befaßten Berufe und Organisationen heran, die für die Neuzeit eine zentrale Bedeutung erhalten.

Handel und Technik rücken langsam in den Kreis der Wissenschaften auf und produzieren frühwissenschaftliches Schrifttum: Okonomie wird seit 1727 als wissenschaftliches Fach an der Universitat Halle gelehrt. 1777 fuhrt J.J.Beckmann die Technologie (Zur Wortgeschichte: Seibicke 1968) als Fach in Göttingen ein. Eine unterstützende Initiative ist die Gründung von Realschulen (1745 Collegium Carolinum in Braunschweig), in denen, gegenüber der bisherigen Konstruktion mit Lateinschulen und Gymnasium, eine eher praktisch orientierte Ausbildung angestrebt wird. Auch im Gymnasium machen sich im übrigen jetzt Tendenzen zum Gebrauch des Deutschen bemerkbar.

Die Chemie löst sich im 18.Jahrhundert von der Alchemie und entwickelt langsam eine rationale, zunächst lateinische Terminologie. Als ein Markstein kann hierbei die Entwicklung der Phlogiston-Theorie 1702 gelten. Schon ab 1750 entsteht eine frühe chemische Industrie, die dann vollends auf deutsche Fachliteratur angewlesen ist.

Erneut zeigt sich, daß Organisation und Verwaltung auf allen Ebenen den neuen Verflechtungen von Handel, Produktion, Wissenschaft (S. 37) und Politik durch die bisherige lokale und branchengebundene Praxis nicht gewachsen sind. Rechts- und Organisationsfragen in Handel und Wirtschaft stellen sich erstmals in ihrer ganzen Allgemeinheit. Symptomatisch ist die Reorganisation der Preußischen Verwaltung von 1722/23 und der Departementsgliederung. Sie ist zweifellos Folge von, aber auch Ursache für ernste Informationsprobleme bei der politischen Entscheidungsfindung. J.B. v. Rohr legt 1716 den Grund für ein modernes Wirtschaftsrecht.

Auch auf der Literatur-Ebene stellt sich das Problem der Organisation der Benutzung. Tertiäre Techniken werden auch da ausgebaut: Ab 1751 erscheinen die ersten Fachbibliographien, wie
 

Zincke, Georg Heinrich, Cameralisten-Bibliothek, worinne nebst der Anleitung, die Cameralwissenschaft zu lehren und zu lernen, ein vollstandiges Verzeichnis der Bücher und Schriften von der Land- und Stadt-Oeconomie ... zu finden, ... Leipzig 1751.

Moser, Johann Jacob, Gesammelte und zu gemeinnützigen Gebrauch eingerichtete Bibliothec von Oeconomischen-Cameral-Policey-Handlungs-Manufactur-Mechanischen und Bergwercks Gesetzen Schriften und kleinen Abhandlungen. Ulm 1758.

Bergius, Johann Heinrich Ludwig, Cameralisten-Bibliothek oder vollstandiges Verzeichnis derjenigen Bücher, Schriften und Abhandlungen, welche von dem Oeconomie-, Policey-, Finanz- und Cameralwesen ... handeln. Nurnberg 1762.


Schon vor der großen französischen "Encyclopedie raisonné" von Diderot und d'Alembert, die in ganz Europa einen kaum zu überschätzenden Einfluß auf die Fachliteratur hatte, entstehen in Deutschland Enzyklopadien (vgl. Zischka 1959) oder Vorläufer dazu. So mit großerem Umfang:

Großes vollständiges Universallexikon. Halle und Leipzig 1732-54.

Dieses Werk wird haufig nach dem Verleger Johann Heinrich Zedler benannt und umfaßte 64 Bände sowie 4 Supplement-Bande. Das zuvor schon erschienene Lexikon

Jablonski, Johann Theodorus, Allgemeines Lexicon der Künste und Wissenschaften. Königsberg und Leipzig 1721. 2 Bände

(S. 38) ist stark abhängig von dem 1694 erschienenen Dictionnaire des arts et des sciences von Thomas Corneille (dem Bruder des Dichters C.). Nach dem Vorbild von Diderot und d'Alembert projektierte dann Johann Georg Krünitz eine "Oeconomisch-technologische Enzyclopadie", die 1773 begonnen wurde und die er selbst bis zum Band 75 (bis zum Stichwort "Leiche") bearbeitete. 1858 erst war das gigantische Unternehmen, dann schon konzeptionell überaltert, mit 242 Bänden abgeschlossen.

Bezeichnend ist, daß das nachfolgende lexikalische Großunternehmen, die "Allgemeine Encyclopadie der Wissenschaften und Künste" von Samuel Ersch und Johann Gottfried Gruber (von 1818 bis 1889) in streng wissenschaftlicher Ausarbeitung vorangetrieben wurde, dann aber nach Fertigstellung der Artikel A- Ligatur und 0 bis Phyxios mit 167 Bänden aufgegeben wurde. Wie schon bei Krünitz, dessen letzte Bände kaum Beachtung fanden, ist der Grund ein pragmatischer. Noch bei der Projektierung des 'Krünitz' hatte niemandem das Gegenargument der Unhandlichkeit eingeleuchtet, ebensowenig war das Fortschreiten des Wissens und der Wissenschaften ein wirklich gravierender Einwand. Denn der vorauszusehende Standort des "Krunitz" waren Bibliotheken, die Benutzer Wissenschaftler, meist aber Beamte und privatisierende hochgestellte Personen. Der Wert wissenschaftlicher Literatur nahm erst etwa nach 50 bis 80 Jahren, und auch dann nur langsam ab, so daß ein Überholtwerden kaum zu befürchten war.

Beide Argumente erreichten aber in der 2. Halfte des 19.Jahrhunderts große Wichtigkeit. Die technische Literatur wurde dann vorwiegend bei der Aus- und Weiterbildung, in den Fabriken und Labors, am Arbeitsplatz benötigt. Der Wert der kameralistischen Literatur des 18.Jahrhunderts war schon um 1830 völlig dahin, die früher einmal in eine ähnliche Rezeptionsurngebung entworfene Hausväter-Literatur und gar die Textsorte der Rezepte war ausschließlich auf den Privatbereich beschränkt.

Im 18.Jahrhundert war dann auch das im 19.Jahrhundert stark vergrößerte kommunikative Netz im Umfeld der Arbeit prinzipiell ausgebildet:
 
 


Abb. 1. Umfeld der Arbeit


Eine Differenzierung dieser Grafik für ein Fachgebiet und nach den folgenden Kriterien wäre wünschenswert, ist aber bei dem gegenwartigen Forschungsstand nicht zu leisten:

Ein gänzlich neuer Zug tritt im 18 . Jahrhundert in der Fachliteratur zutage: Man entdeckt einen historischen Abstand zur älteren Fachterminologie (S. 40) und empfindet erstmals das Phänomen Fachsprache als kommunikatives Hindernis (bei völligem Fehlen von hermetischen Absichten derselben).
 
"Auch muß zu achten, erinnert werden, daß man überall die lateinischen Terminos Technicos, oder Kunst-Wörter, behalten, da sich doch jetzo ihrer viele angelegen seyn lassen, solcbe in ihren Schrifften teutsch zu geben welches, gewissen Umständen nach, auch nicht zv schelten. Hier ist es geschehen (1) weil selbige schon so weit üblich sind, daß einjeder Künstler und Handwercker, der mit dergleichen Dingen umgehet, solche meist verstehet, und durch ungewöhnliche teutsche Benennungen nur confus werden würde, wie etwa schon passiret. Ferner (2) da solche Leute auch andere dergleichen Schrifften lesen wollen und sollen, die der lateinischen Terminorum sich bedienen. wird es ihnen desto leichter sein solche zu verstehen. (3) da die Mathematici, Gelehrte und andere Kunst-Verständige auch also reden, würden sie von Küinstlern oder Handwerks-Leuthen nicht so leichte verstanden werden.

Man hat aber um besserer Deutlichkeit willen meist allezeit das teutsche Wort oder Erklährung mit beygesetztet, damit beydes erkandt, und nicht so leichte vergessen wird, auch vielfältig sich mehr als einer Benennung aus eben dieser Ursachen bedienet, und also mit Fleiß Tavtologien einfließen lassen.", (Leupold, Jacob, Theatrum Machinarum Generale. Leipzig 1724, 10.Vorblatt)"

"… und mich nach Beschaffenheit derer Umstände, Kunstwörter bedienen, theils, weil sie von denen Arbeitern besser verstanden werden, theils weil diejenigen, die, als Aufseher über die Manufakturen, die Arbeiter anführen sollen, sie eben so gut, wie diese, verstehen mussen. (Nachricht von denen Manufakturen derer Tücher und anderer wollener Zeuge. Dresden und Leipzig 1765, S. VI)"

"Die Ursache, warum sich einige Schriftsteller verschiedener Nationen die Mühe gegeben haben, genaue Beschreibungen der mechanischen Künste und Handwerke zu machen, ist wohl hauptsächlich diese, daß . . . Gelehrte . . . sich nicht allein einen vollkommenen Begriff von den verschiedenen Arbeiten . . . machen können, sondern auch die Sprache der Professionisten verstehen lernen, denn es ist bekannt, daß wenn man ein Zuhorer eines Gesprächs (S. 41) einiger Professionisten ist, welches sie von ihren Beschäftigungen führen, man dasselbe fast gar nicht verstehen, oder aus dem Zusammenhang desselben sich keinen recbten Begriff machen kann. Sie gebrauchen nemlich Redensarten, welche außer ihnen niemand versteht, folglich ist man auch niemals im Stande von den Dingen wovon unter ihnen die Rede ist, sich eine deutliche Vorstellung zu machen," (Jacobsson, Johann Carl Gottfried, Schauplatz der Zeugmanufakturen in Deutschland, das ist: Beschreibung aller Leinen= Baumwollen= Wollen= und Seidenwürcker= Arbeiten, vornehmlich wie sie in den Königlich-Preußischen und Churfürstlich-Brandenburgischen Landen verfertigt werden. Berlin 1773-76, Band 1, S. VIII).

"Reißt ihnen während dem Waschen, ein Wickel, so nennen sie solches einen Engländer. Sie haben mir darüber keine Ursache angeben können, warum sie einen solchen gerissenen Wichel diesen Nahmen geben, welcher mit der der Beschaffenheit und Natur der Sache nichts ähnliches hat. Man kann also sehen, was manchmal bey dergleichen Leuthen vor lächerliche Gewohnheiten und Gebräuche im Schwange gehen, ohne daß sie im Stande wären, den Grund anzugeben, warum dieses so und nicht anders ist... " (dass. Band II, 103/104).

"Weil die deutschen Kunstwörter so sehr verdorbene französische Wörter sind . . . In unseren Wörterbüchern sucht man sie vergebens und Jacobsson hat sie in dem seinigen nur sehr selten berührt . . . und der Übersetzer muß sich nicht scheuen, alle Kunstwörter und alle zweifelhaften Stellen französisch beidrucken zulassen. Es schmerzet mich, wenn ich daran denke, daß auch dieses vortreffliche Werk in Teutschland verhunzet werden könnte." (Beckmann, Johann, Physikalisch-oeconomische Bibliothek ... Göttingen 1770. Band XVI, 451. Die Rede ist von: Paulet, L'art du fabricant de sois, Paris 1774 ff.)

"Keine Wissenschaft, nur die Naturkunde ausgenommen, hat mehrere und mannigfaltigere Gegenstände, und eben deswegen eine größere Menge Kunstwörter, als die Technologie .. . Zudem wird die Zahl dieser meistens sehr willkürlich gemachten Wörter noch durch Synonymen und Provinzialwörter vermehret, die nicht selten dem erfahrendsten Kenner unverständlich sein können.... Schriftsteller der Naturkunde finden es gemeiniglich bequemer, (S. 42) sich selbst eine Eintheilung der Naturalien zu entwerfen, und selbst neue Namen zu machen, als das beste vorhandene System verstehen und längst angenommene Benennungen brauchen zu lernen; aus gleicher Ursache werden der Technologie von Zeit zu Zeit neue unnütze Kunstwörter von Schriftstellern und Übersetzern aufgedrungen, welche die richtige Terminologie nicht haben erlernen mögen. Aber wenn auch der fleißigste Lexicograph alle zugängliche Werkstellen ausgefragt und alle vorhandene Bücher ausgeschrteben hat, wie wird es ihm möglich sein, die zahllose Menge der Provinzialwörter aufzufangen, die noch kein Idioticon gesammlet hat. Wie sehr wird ihm die Arbeit durch die fehlerhafte Aussprache der Künstler, durch die noch von keinem Grammatiker bearbeitete Etymologie und Orthographie derselben vervielfälttgt."   (Beckmanns Vorrede zu Jacobssons technologischem Wörterbuch, Band 1, S. 6 und 7).


Eins wird bei allen Zitaten deutlich: Zwar kritisiert man manches an den Fachsprachen, aber sie werden als Kommunikationsmittel, und zwar als einziges im Fach, respektiert und in ihren Eigenschaften der Gemeinsprache an die Seite gestellt (vgl. v. Hahn 1971, 88ff.). Wenn man sich auch von ,Provinzialwörtern' bisweilen freihalten will, so wird doch die Eigenständigkeit der Fachsprache nicht angetastet. Zum Wort "abstechen" sagt Jacobsson in seinem technologischen Wörterbuch bezeichnenderweise:

 
"Man bemerkt nur noch, daß die Benennung dieser ganzen Sache eigentlich abstecken he;ßen sollte. Denn es sind Nadelstifte, die aufdem Brustbaum stehen. Allein man muß es in diesem Fall mit dem Weber, der seine Kunstsprache selbst bildet, so genau nicht nehmen". (Jacobsson, Johann Carl Gottfried, Technologisches Wörterbuch . . . Berlin und Stettin 1781-84, Band 1, Stichwort ,abstechen'.)

 


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