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2.5  Das 15.Jahrhundert
 
 

Das 15.Jahrhundert ist für die Entwicklung von Fachsprachen besonders wichtig, da der auch in Deutschland um sich greifende Humanismus eine ganz neue Sicht von Natur, Geist und Wissen mit sich brachte, und so die damals entstandenen wissenschaftlichen und technischen Schriften weiter in die Nähe neuzeitlicher Auffassungen z. B. über Theorie und Methode rückte. Symptome sind eine langsame Abkehr vom Traditionalismus und die erste Entwicklung einer privaten städtischen Buchkultur (Hartmann Schedel in Nürnberg, Willibald Pirckheimer und Konrad Peutinger in Augsburg, Jacob Wimpheling u. a.), ein Zeichen zudem für einen veränderten Teilnehmerkreis an Wissenschaft und Technik. Die um die Jahrhundertwende zum 16. Jahrhundert angelegte Privatbibliothek des Beatus Rhenanus in Schlettstadt ist einzig vollständig erhalten (Vorstius 1954, 27).

Der Hintergrund für diese Buchkultur war aber die Erfindung des Buchdrucks. der etwa 1445 (Fragment vorn Weltgericht) erste technische Erfolge hatte (Funke 1963, 77). Die darauf einsetzende dramatische Entwicklung des Buchwesens innerhalb von nur 50 Jahren war die entscheidende Grundlage für eine rasche Ausbreitung des Wissens in Europa.

Wie häufiger bei derartigen technischen Entwicklungen ist der Beginn des Buchdrucks aber auch als Konsequenz einer schon lange angelegten kommunikationstechnischen Entwicklung zu sehen (Hiller/Strauß 1962,15 und 23 f.). Schon 1425 bis 1467 hatte der Schullehrer Diebold Lauber einen ausgedehnten Schreibstubenbetrieb in Hagenau im Elsaß. Mehrere Abschreiber saßen jeweils zugleich an einem Werk und die Handschriften gingen in alle deutschen Lande. Belegt sind seine Abschriften von Solothurn bis an (S. 26) den Niederrhein. Von ihm ist das erste deutsche Werbeblatt erhalten. Um 1450 verteilt er ein Bücherverzeichnis mit den bei ihm erhältlichen Titeln. Demgegenüber ist übrigens das erste Werbeblatt eines Druckers (durch Schöffer 1469/70l) lateinisch abgefaßt und bei weitem nicht so reichhaltig. Diese Schreibstuben- und frühe Verlagsarbeit zeigt, daß die Multiplikationsformen für Wissensträger an den Rand ihrer Kapazität gelangt waren und schnellere wie rationellere Formen gefunden werden mußten. Experimentiert wurde vor Gutenberg schon länger, da der Buchdruck ein Desideratum ersten Ranges war.

So ist verständlich, daß zunächst die literarischen Massenartikel gedruckt werden. Zu ihnen gehören aber auch schon Dinge, die in die Richtung von fachlicher Kommunikation gehen: 1457 ein Aderlaß- und Laxierkalender aus der Werkstatt Gutenbergs, 1474 Bartholomaus Metlingers, "wie die kind in gesuntheit und in krankhelten gehalten werden sollen", 1485 eine Ausgabe des "Gart der Gesundheit" von Johann Wonnecke, dessen lateinische Fassung nur ein Jahr zuvor ebenfalls, und zwar bei Schöffer in Mainz, gedruckt worden war. Im selben Jahr erscheint bei Sporer in Erfurt ein Visierbüchlein.

Weitaus wichtiger aus inhaltlicher Sicht sind natürlich zunächst noch immer die handschriftIichen Quellen. Gerade auf dem medizinischen Sektor sind z.B. die Schriften des Ulrich Ellenbog von einer praxisorientierten Beobachtungsgabe gekennzeichnet, die manches bisher Geschriebene überholt oder ergänzt. (Verfasserlexlkon) Die "Dudesche Arstedie", das sogenannte Gothaer Arzneibuch, ist ein wichtiger Zeuge in der Reihe der niederdeutschen Bartholomäus-Tradition. Um 1420 schrieb der bis ins 18.Jahrhundert hinein zitierte Peter von Ulm eine deutsche "Cirurgia" (Eis 1960, 1194). Häufiger werden im 15.Jahrhundert die "regimina" gegen Pest und Syphilis. Die Pest hatte nach der großen Epidemie 1347-52 immer wieder ganze Landstriche verödet und die Syphilis war nach der Entdeckung Amerikas eingeschleppt worden. Beispiele der zahllosen Schriften sind Hans Rosenbuschs Pestregimen und Joseph Grünbecks Schrift über die Syphilis (Eis 1960, 1196).

Eine der wichtigsten Figuren der Medizin des 15.Jahrhunderts ist Siegmund Albich von Prag. der Leibarzt Kaiser Wenzels, dessen (S. 27) "Vetularius", um 1450 Lateinisch verfaßt und vermutlich von seinen Schülern ins Deutsche übersetzt, lange zu den wichtigen Schriften über das Altern gehörte. Bemerkenswert ist seine Unabhängigkeit von den Vorbildern (Eis 1960, 1190).

Bezeichnend für den Stand der Literatur ist die Trennung der Fachgebiete innerhalb der Medizin, die wenigstens schon aus folgenden Teilgebieten besteht: Allgemeine Medizin, Frauenheilkunde, Kinderheilkunde, Beschwernisse des Alters, Wundversorgung, Zahnmedizin. Hinzu kommen ausgebreitete Gebiete der Epidemie-Rezept-Literatur. Zwar haben die Ärzte gewöhnlich noch alle Gebiete zusammen vertreten, aber die Differenzierung auch des Berufsbildes (und damit der Fachliteratur) setzt z. B. mit den Badern und Wundärzten ein.

Im Gebiet der naturwissenschaftlich-technischen Schriften sind die "tabulae directionum" und der sogenannte "Kalender" des Johannes Regiomontanus (d. i. Johannes Müller) von besonderer Bedeutung. Erstere waren in der Nautik sehr wichtig, das letztere war mehr populären Charakters und fußte auf seiner lateinischen Schrift "Ephemerides" (1473).

Eine "Geometria Culmensis" wurde gegen Ende des Jahrhunderts im Auftrage des Deutschen Ordens zur Landvermessung verfaßt. Der "AIgorismus de minutiis" des Johannes Keck führt in die Bruchrechnung ein.

Zwei große alchemistische Werke, in deutscher Sprache, das "Buch der heiligen Dreifaltigkeit" des Almannus sowie die "Alchymey teuczsch" von Niklas Jankowitz, Michel Prapach und Michel Wülfing entstehen im 15. Jahrhundert. Diese "Alchymey teuczsch" ist ein sehr gutes Beispiel für die Verschlüsselung der Alchemie-Literatur. Der stark induktive Charakter dieser von Spekulation und Analogiedenken durchzogenen Wissenschaft steht einem experimentellen praxisbezogenen Traditionszweig gegenüber, zu dem im 14./15.Jahrhundert z. B. folgende Verfasser (mit Schriften über gebrannte Wasser) gehören: Gabriel von Lebenstein, Michael Puff von Schrick und Kaspar Griessenpeckh. Griessenpeckh stellt die Wirkungen der gebrannten Wasser in Tabellenform zusammen und liefert damit einen frühen Beitrag zur Textform der wissenschaftlich-technischen Berichte, die deutlich der Praxis des Nachschlagens (S. 28) und schnellen Informierens zugewandt ist, aber auch den Sinn für eine formale Regelnlaßigkeit im Gegenstandsbereich verrät.

Schriften aus Handel und Wirtschaft wie die Wirtschaftsbücher des Deutschen Ritterordens (~1400) und Ott Rulands Handlungsbuch (1444 ff.) beweisen eine weitere Entwicklung der Schriftlichkeit im Handel. Ott Rulands Handlungsbuch bietet gegenüber dem Buch der Holzschuher schon etwas mehr deutsche Warenbezeichnungen. Die komplizierter werdende kaufmännische Rechnung gibt Anlaß zu praktisch-mathematischen Schriften wie denen Ulrich Wagners (1482), Heinrich Petzensteiners und schließlich das später noch häufiger gedruckte des Johann Widmann von Eger mit dem Titel "Behende und hübsche Rechnung auf alle Kauffmannschafft.

Aus dem Bauwesen liegen die ersten deutschen Schriften vor, die über bloß Rechnungen hinausgehen. Zu nennen sind v.a. die Nürnberger Baubücher (1441 ff.), "die ein anschauliches Bild von den vielfältigen Aufgaben des Bauamts vermitteln; sie geben nicht nur über Löhne, Arbeitszeiten, Materialbeschaffung u. dergl. Auskunft, sondern enthalten auch Verträge, Eidformeln, (Beschreibungen von) Straßen, Brunnen, Feuerlöschwesen und vieles andere" (Eis 1960, 1152). Eine spezielle bautechnische Schrift druckte Matthäus Roritzer 1486 mit seinem "Puechlen von der fialen gerechtigkait". Es kann als die erste Fachschrift der Architektur in deutscher Sprache gelten.

Ende des 15.Jahrhunderts wird eine sehr einflussreiche Schrift, Petrus de Crescentiis "ruralia commoda" von 1305 (!) ins Deutsche übersetzt und unter dem Titel "von dem Nutz der Dinge, die in Äckern gebaut werden" herausgegeben.

Noch vor Ulrich Rüleins "Bergbüchlein" (1505) ist von L. Eglitzau "Ein Articul Puech auf ain Jedes Pergckwerch gemacht ..." überliefert, dem bergmännisches Wortgut zu entnehmen ist. In losem Zusammenhang damit steht die Überlieferung der Walenbücher Beschreibungen, wie man Gold und Edelsteine findet. Den Fachquellen im eigentlichen Sinn sind sie allerdings wegen des starken alchemistischen Einschlags schwer zuzuordnen (Eis 1960, 1151). (S. 29)

Im Militärwesen ist neben den Schriften der Lichtenauer-Schülers (Eis 1960, 1200) das Nürnberger Zeughaus-lnventar des Konrad Gürtler aus dem Jahr 1462 zu nennen, aus dem die Waffen- und Ausrüstungsterminologie der Zeit in vorher nicht überlieferter Breite zu erheben ist.


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