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(S. 22)


 
 

2.4 Das 14.Jahrhundert
 
 

Dle Textsorte der Handlungsbücher ist auch im 14.Jahrhundert mit dem genannten Handlungsbuch der Holzschuher aus Nürnberg belegt (Chroust/Proesler 1934). Es kann inzwischen als das älteste dieser Art gelten. Die Fachwörter bieten neben den aus Städte- und Landschaftsnamen abgeleiteten Warenbezeichnungen einen guten Einblick in die Fachsprache; aus dem Textilbereich ist z.B. dort zu finden:

cladertuch, distelsait fanden, forton, futertuch, gugelfuter, gugelir, hostuch, kolth, daneben aber auch opus varium oder pallium.

Die Selbstverstandlichkeit, mit der hier implizite Ausdrucke wie mitteler als Tuchbezeichnung nach der Qualität benutzt wird, zeigt übrigens die tiefe Verwurzelung von situationsgebundenen Verkürzungen in der fachsprachlichen Kommunikation.

Eine Schwierigkeit bei der fachsprachlichen Würdigung solcher Quellen gibt natürlich ihr indirekter fachlicher Charakter auf: Der Wortschatz entstammt dem Warenbereich, das Textformular dem Praxisbereich des Handels, ohne daß dieses Formular je explizit vereinbart oder gar kommentiert worden wäre.

Der Rückgriff auf eine Textilfachsprache ist damit höchst unsicher, wenn auch durchaus legitim (vgl. v. Hahn 1971,18). Andererseits repräsentieren die Handlungsbücher noch keine deutsche Fachsprache des Handels, aus Mangel an spezifischer Organisation sowie fehlendem exklusivem terminologischen Bedürfnis.

In einer etwas besseren Lage sind wir bei den städtischen Handwerksurkunden, wie sie für die fragliche Zeit etwa im Satzungsbuch (A) der Stadt München (Dirr 1934) (1295-1350) vorliegen:

 
[184] "Wir wellen: so man den loden von dem webaer trag, daz er hab 84 pfunt und daz alt drum 42 lb, das lembrein drum 36 pfunt. Und soll man hundert ellen zu dem loden wurchen ..."


Solche Passagen sind in Zusammenarbeit mit den Fachleuten verfaßt und stellen schon vom Text her etwas dar, das in engem Zusammenhang mit der kommunikativen Wirklichkeit des Textilfachs selbst steht. Aus der Sicht eines engeren Fachverstandnisses ist die Textil-Fachsprache hier allerdings stark durch die Urkundensprache überformt (v. Hahn 1971, 14). (S. 23)

Urkunden solcher Art finden sich seit dieser Zeit, vor allem dann im 16.Jahrhundert, häufig (vgl. etwa Nübling 1890). Bis zum 18.Jahrhundert hin treten sogar gedruckte Handwerksordnungen auf.

Im Bereich der Natursicht im weiteren Sinne entstehen im 14. Jahrhundert einige bedeutende Schriften: Konrads von Megenberg "Buch der Natur", das auf eine lateinische Schrift des Albertusschülers Thomas von Chantimpré zuruckgeht. Es behandelt den Menschen, den Himmel, die Tiere, die Bäume, Kräuter, Edelsteine, die Metalle und zuletzt die wunderbaren Brunnen. Mit Recht sieht man (Eis 1960, 1109) in dieser Schrift eine bedeutende Quelle für die mittelalterliche Fachsprachenforschung, wenn auch ihr Entstehen und ihre Benutzung keinen Bezug zu fachlichen Tätigkeiten hatte, wie das z. B. für die Handwerksordnungen unbedingt gilt.

Die fachsprachlich-praktische Verwurzelung kann aber in einem darüber weit hinausweisenden Sinne gelten für das "Pelzbuch" des Gottfried von Franken, das Ende des 14. Jahrhunderts in deutschen Fassungen erhalten ist. Es behandelt Baumpflege und Obstverwertung, Rebenzucht und Kellermeisterei. "Besonders bemerkenswert ist, daß er auch bereits wirkliche Experimente durchführte, um bestimmte Gedanken praktisch zu erproben." (Eis 1960, 1171).

Der Einfluß dieser Schrift ist bis ins 19.Jahrhundert zu verfolgen und erfaßt ganz Europa.

Übrigens sind seit dem 14.Jahrhundert auch Kochbücher überliefert. (Eis 1960, 1171).

Mit einem theorie- und experimentfernen Praxisbewußtsein ist das am Ende des 14.Jahrhunderts entstandene mittelniederdeutsche "Seebuch" geschrieben worden. "Das Seebuch ist die wertvollste Quelle für unsere Kenntnis des mittelalterlichen seemannischen Lebens und der Seemannssprache in Norddeutschland." (Eis 1960, 1161). Der Inhalt befaßt sich mit der Seefahrt an den europaischen Westküsten. Ein Gegenstand, der durch das Aufblühen der Hanse eine besondere Aktualität hatte.

Hatten wir bei den Handlungsbüchern und deren Vorläufern erstmals ein fachsprachliches Originaldokument aus dem fachlichen Handlungszusammenhang vor uns, so erlaubt das Seebuch (S. 24) von den bisher besprochenen Quellen erstmals vorsichtige Ruckschluüse auf Eigenschaften der gesprochenen Fachsprache des Seewesens, da es ausgiebig zusammenhängenden Text bietet.

Ploss (Ploss 1962, vergl. auch Eis 1960, 1148) behandelt in sehr geschickter kultur- und technikgeschichtlicher Einbettung Färberrezepte der Zeit, in denen z.T. auch der Werkstattcharakter deutlich zutage tritt, zumal die Färberei nicht wie die benachbarte Alchemie ein Geheimhaltungsinteresse am Fachwissen hatte. So sind auch die Namen der Verfasser, wenn sie uberliefert sind, eher als Herkunftsbezeichnungen anzunehmen, während in der Alchemie wie in der Medizin der Verfassername als Autoritatsbeweis galt; eine ganze Reihe von Schriften werden bekannten und nicht in Zweifel zu ziehenden Fachgrößen unterschoben.

So die Schrift "de secretis mulierum", für die Konrad von Megenberg als Autor unterschoben wird. Deutsche Handschriften davon existieren seit etwa 1380. Noch im 14.Jahrhundert erscheinen auch weitere für die Entwicklung der Medizin wichtige Schriften: deutsche Bearbeitungen des schon vorher in lateinisch weit verbreiteten "macer floridus" und das von des Meister Bartholomaus "Praktik" stark abhängige Bremer Arzneibuh des Arnold Doneldey (1382), das durch seine mittelniederdeutsche Sprache eine gewisse Sonderstellung einnimmt. Nicht zuletzt ist es das Arzneibuch des Ortolf von Bayerland, das eine erhebliche Wirkung in seiner Literaturgattung hat.

Gegen Ende des 14.Jahrhunderts werden die ersten Schriften aus dem Kriegshandwerk in deutscher Sprache verfaßt. In mehreren Handschriften ist überliefert die "Kunst des langen Schwertes" des Johannes Lichtenauer sowie zahlreiche Büchsenmeisterbücher(Eis 1960, 1157). Im übrigen ist auch der für die Schweizerische Geschichte sehr wichtige Sempacher Brief von 1383 als Quelle militarischen Wortguts auszuwerten.

Wenn in diesen historisch fortschreitenden Abschnitten vor allem die jeweils neu auftretenden Textsorten und erstmals deutsch abgehandelten Sachgebiete in kurzer Folge vorkommen, so darf natürlich nicht vergessen werden, daß die vorher entstandene Literatur mit ihren spezifischen Traditionen weiter entfaltet wird und nach wie vor z. B. Iateinisch-deutsche Vokabularien, die wir in (S. 25) Abschnitt 2.1 besprochen haben, in großer Blüte stehen. Muß man schon sicher annehmen, daß in den meisten Fallen die uns überlieferten Handschriften nicht die frühesten ihrer Gattung sind, so kommt hinzu, daß auch die Zeit, bis sie allgemein bekannt wurden und auch außerhalb der Bildungszentren zu Bedeutung kamen, unvergleichlich viel länger war als seit der Erfindung des Buchdruckes oder gar bei der Medienindustrie der Gegenwart.
 
 


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