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(S. 19)

 

2. 3. Das 13. Jahrhundert
 
 

Das 13. Jahrhundert hat auf dem Gebiet des Rechts und der Urkunden einen bedeutenden Markstein in der deutschen Fassung des Mainzer Landfriedensgesetzes. 1235 wurde dieses Gesetz in zwei gleichberechtigten Fassungen -lateinisch und deutsch- gegeben. Das erste Mal wird hier ein offizielles Dokument in deutscher Sprache abgefaßt. Kaiser Friedrich II. hat überhaupt auf die Entfaltung der Fachliteratur indirekt großen Einfluß genommen durch seine prononciert reichs- und diesseitsbezogene Ideologie, die das Klima einer neuen Aufgeschlossenheit gegenüber der Wissenschaft verbreitete. Ein Vorklang der Renaissance ist dieses Bewußtsein oft genannt worden und gerade von Friedrich II. ist ein ungewöhnlicher Wissensdrang auf Gebieten des Quadriviums überliefert. (Grundmann 1970, 461) Hinzu kommt als sich entwickelnde staatliche Organisationsform eine Frühform des zentralisierten Beamtenstaats mit bürgerlichen Beamten. Die Einführung direkter Steuern und eines stehenden Heeres sind Entwicklungsdaten dieser Epoche. Die damit aufgebauten ständigen Organisationsstrukturen brachten einen erhöhten berufsbezogenen Informationsbedarf mit sich, von dessen Befriedigung wir allerdings nichts mehr wissen, vor allem nichts darüber, wie hoch der deutsche sowie fachsprachliche Anteil gewesen ist.

Ein zweites markantes Faktum des deutschen Rechtswesens im 13.Jahrhundert war der "Sachsenspiegel" des Eike von Repgow, eine Rechtsquelle erster Ordnung, dessen Wirkung auf juristischer wie sprachlicher Ebene kaum zu überschätzen ist. Die Entwicklung einer deutschen Rechtssprache ist damit eingeleitet; allerdings ist die Bedeutung des Deutschen insgesamt gegenüber dem Latein noch auf lange Zeit hinaus zweitrangig und die Abfassung des Sachsenspiegels auf deutsch war alles andere als eine Frage des Bedarfs. Erst auf ausdrücklichen Wunsch des Grafen Hoyer von Falkenstein wurde die Mühe unternommen:

do ducht in daz zu swere daz her iz an dutisch wande

heißt es in der Vorrede (vgl. Eggers 1963, Band III, 26 f.).

Einer der größten Köpfe des 13.Jahrhunderts, Albertus Magnus, darf, obwohl er selbst nur lateinisch schrieb, ebenfalls als wichtiger Auslöser deutscher Fachliteratur gelten. Er war es, der den Zugang (S. 20) zu Aristoteles wieder öffnete, der besonders die naturwissenschaftlichen Schriften wieder bekannt machte. In welchen Zeitgeist hinein er das tat, zeigt das noch 1210 ausgesprochene Aristoteles-Verbot in Paris. Durch Alberts Tätigkeitsfeld in Deutschland (Köln, Regensburg) stand er auch den deutschen klösterlichen Kreisen wesentlich näher als französische oder italienische Wissenschaftler seiner Zeit, wenn auch die europäische Mobilität insgesamt erstaunlich groß war.

Ein anderer im 13.Jahrhundert verlängerter Traditionsstrang der Fachliteratur ist der der medizinischen Schriften. In Volmars gereimtem Steinbuch (Eis 1960, 1185, Assion 1973) (~1250), der Chirurgie des Nikolaus von Polen (vor 1278) und dem 1282 von Hildegard von Hürnheim verfaßten "secretum secretorum", einer Schrift aus der pseudoaristotelischen Tradition, setztsich das Bemühen um ein Sammeln und Bewahren der Erkenntnisse der Medizin fort.

Ein für die ganze spatmittelalterliche deutschsprachige Medizin grundlegendes Werk, das ständige Erweiterungen erfuhr, liegt in Handschriften seit dem 13.Jahrhundert vor: die "Praktik" des Meister Bartholomäus. Die deutschen Bearbeitungen gehen auf Prosaschriften der Salernitanischen Schule zurück. Dasselbe gilt für die Vorlage der in Deutschland in zahllosen Handschriften vorliegenden Schrift "de conservanda bona valetudine". Beide Bücher haben noch im 16.Jahrhundert hohes Ansehen.

Als Seitenstuck zu dieser Literatur, mit teilweise verblüffenden inhaltlichen Parallelen, hatte Meister Albrants "Roßarzneibuch" (entstanden noch vor der Mitte des 13.Jahrhundert) einen ungeahnten Einfluß auf die Veterinärliteratur bis hinauf ins 19.Jahrhundert. (Eis 1960, 1181).

Von der Textsorte her werfen die nachfolgend genannten Schriften ein deutliches Llcht auf die pragmatische Einbettung so mancher anderer Schrift der Zeit: Bruns von Schonebeck Partien über die Planeten im "Hohen Lied" (Eis 1960, 1141, auch für das Folgende), Heinrich Frauenlobs Astronomische Lehrgedichte (~1290) und die deutsche Versbearbeitung von Jacobus de Cessols Schachbuch (noch aus dem 13.Jahrhundert). Diese Schriften lassen erneut erkennen, daß nicht die sachliche Information, die wissenschaftliche (S. 21) Durchdringung oder der Anwendungsbezug einer Technik das Entscheidende für den Benutzer dieser Literatur waren, sondern ein Teil Unterhaltung, ein Teil Spekulation und ein großes Teil Einbindung in pragmatisch wieder ganz anders bestirnmtes geistiges Material der Philosophie und vor allem der Theologie. Nur eines war es nicht: Technisch-wissenschaftliches Schrifttum zum optimierten Erreichen z.B. eines instrumentell bestimmten Ziels. Was für den Physiologus schon genannt wurde, gilt hier weiterhin.

Ganz aus der Praxis und zwar aus einem Feld, das zunehmend an Bedeutung gewinnt, stammt ein Kieler Bruchstuck aus kaufmännischer Buchhaltung (Ende des 13. Jahrhunderts). Sicher ist diese Quelle als historischer terminus unbedeutend, denn Handelsunterlagen sind schon seit längerem angelegt worden (Rörig 1928 b, 218/220). Rörig weist darauf hin, daß seit Mitte des 13.Jahrhunderts der Ostseekaufmann seinen Betrieb auf Schriftlichkeit aufbaute. Gleichzeitig weist er nach, wie enorm die Verluste an Urkunden gerade auf diesem Gebiet sind, und wie wenig repräsentativ die Daten der zufällig erhaltenen Stücke sind. Die Entwicklung des Handels war in dieser Zeit noch weit weniger gehemmt als in der territorialen Aufgliederung des 14.Jahrhunderts.

Dagegen hat dieses Bruchstuck seine Bedeutung in der Demonstration einer weiteren ganz eigenen Textform, eines literarisch nicht vorkommenden Formulars, während viele frühere Quellen in poetisch-literarischen Formen auftraten, z. B. der Lucidarius und die Traktate. Vorher ist nur die Textform Rezept als typisch fachsprachlich belegt. Aber auch dabei ist zu berücksichtigen, daß der Übergang zwischen Segens- und Zaubersprüchen zu den Rezepten fließend ist und daher der genuine fachsprachliche Charakter der Rezepte nicht ohne weiteres behauptet werden kann.

Allerdings sind die deutschsprachigen Anteile des Kieler Buchhaltungsfragments gering, wie überhaupt die Kürze der Urkunde eine weitere Relativierung bringt. Umgekehrt ist aber in den ersten dann später auftauchenden Handlungsbüchern (Holzschuher, Warendorp [Rörig 1928 a], Wittenborg [Mollwo, zitiert in Rörig 1928 a, 167]) das Latein so unsicher und so wenig geläufig, daß mit einer großen Nähe zur Muttersprache gerechnet werden muß.


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