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1. Entwicklungslinien der Fachsprachenforschung




Die Geschichte der deutschen Fachsprachenforschung ist wie die der wissenschaftlichen Germanistik kaum mehr als 100 Jahre alt. Was aber für die Germanistik noch eher zutrifft, daß man nämlich ihren Beginn mehr oder minder glücklich mit Forscherpersönlichkeiten verbinden kann, ist bei der Fachsprachenforschung nicht möglich. Ebenso im Gegensatz zur Germanistik kann die Fachsprachenforschung nicht auf eine partielle aber stetige Mitberücksichtigung ihrer Fragestellungen in übergeordneten Fachgebieten z.B. der Allgemeinen Sprachwissenschaft zurückschauen.

Die Fachsprachenforschung dagegen kann allerdings auf ein lange vorhandenes Problembewußtsein in Nachbarfächern und in fast allen Gebieten praktischen menschlichen Handelns zurückblicken: Schon früh gibt es, wenn auch undifferenzierte, Hinweise auf schwerverstehbare Fachterminologie etwa konkretisiert in der "obscuritas" der antiken Rhetorik (vgl. Kalverkämper 1980), oder der Sammlung von Kunstwörtern in der frühen fachlichen lexikographischen Tradition (vgl. S.40). Leibnitz' Versuche, die fachsprachliche Brauchbarkeit der deutschen Sprache durch umfassende lexikographische Vorschläge zu beweisen (Drozd/Seibicke 1973), sind eine weitere Marke auf diesem Gebiet. Endlich sind es auch kommunikationstheoretische Erkenntnisse ganz moderner Wissenschaftsrichtungen wie der Organisationstheorie (Grochla 1975), die auf die konstitutive Rolle der sprachlichen Kommunikation im Fach hinweisen. Meist wird hier das Vorhandensein einer exklusiven Terminologie festgehalten, teils deren Mängel, teils deren Vorteil dargestellt.

Das praktische Problembewußtsein von Fachsprachen ist also durchaus seit langem vorhanden.

Nun wäre eine wissenschaftliche Erforschung, vielleicht eine Erklärung der Fachsprachen, aus zwei Richtungen zu erwarten gewesen. Einmal von den theoretischen Hintergrundfächern der praktischen (S. 8) Arbeitsfelder, in denen Fachsprachen benutzt wurden, zum anderen von der Sprachwissenschaft. In ersteren wegen der zugleich mit der Theoriebildung meist vollzogenen terminologischen Festlegung. In der Sprachwissenschaft sozusagen von Berufs wegen.

Nehmen wir als ein solches Praxisfeld die Technik: In der dahinter stehenden Technologiewissenschaft und deren spätere Auffächerung in spezifische Einzelgebiete an den Technischen Hochschulen etwa, ist die Problematik der Fachsprache schon bei der Gründung der Wissenschaft gesehen worden: "Keine Wissenschaft, nur die Naturkunde ausgenommen, hat mehrere und rnannigfaltigere Gegenstände, und eben deswegen eine größere Menge Kunstwörter, als die Technologie" (Beckmann 1770, Bd. 16, 451). Fachterminologie ist dort seitdem auch immer wieder diskutiert worden, ihre wissenschaftliche Bearbeitung ist aber nicht vorgenommen worden. Eher wurden praktische Vorschläge zur Terminologie oder Klassifikation vorgelegt, die bisweilen eine gründliche theoretische Beschäftigung mit dem Gesamtphänornen Fachsprache eher verschütteten als förderten.

Nun haben sich um die technischen Wissenschaften und ihren Theoriebildungsprozeß eine Reihe von anderen Wissenschaftszweigen gruppiert, die einerseits unter historischem Aspekt die Entwicklung symbolisch formalen und instrumentellen Handelns untersuchen oder Technik unter dem Paradigma der Psychologie oder Soziologie bearbeiten. In jedem Falle werden auch diese Forschungsrichtungen mit dem Problem der Fachsprachen konfrontiert.

In der Technikgeschichtsforschung ist die Wirkung der Entwicklung von Kommunikationstechniken bald erkannt worden und mit Recht ist ein Teil der Technikgeschichte als Kommunikationsgeschichte aufgefaßt worden (Timm 1964, vgl. auch Everling 1930). Proportional zur Kommunikationstechnologie wächst die Wichtigkeit der Fachsprachen und es ändert sich ihre Struktur und Anwendung. Allein über den Befund kam man hier im wesentlichen nicht hinaus.

Die Wirtschafts- und Sozialgeschichte (z. B. Kellenbenz 1977) darf für sich in Anspruch nehmen, daß sie über die historischen Sachverhalte hinaus Anhaltspunkte zu Struktur und Entwicklung von (S. 9) Fachsprachen (wenn auch im allgemeineren Rahmen von Kommunikation überhaupt und eher implizit) gebracht hat, Aufschlüsse, die aus den Nutzungsbefunden der gegebenen historischen Kommunikationssituation abgeleitet wurden.

Die besonderen menschbezogenen Implikationen der Handlungen in Fachbezügen, z. B. in Berufssituationen, stehen im Mittelpunkt der Industriepsychologie, der Berufspsychologie sowie der Industriesoziologie. Die konkreten Fachsprachenprobleme sind, wie wir später (s. Kap.5) sehen werden, zwar unter neuem Aspekt gesehen worden, aber es waren eher die allgemeinen Aussagen zu Kommunikation und Gruppenverhalten, die die Fachsprachenforschung anregten, als daß von der Psychologie selbst die Fachsprachen bearbeitet worden wären.

Verlassen wir hier die Technik wieder und wenden uns der Sprachwissenschaft zu. Zuvor noch ein Blick auf die (über die Dialektologie) mit der Sprachwissenschaft enger verbundene Volkskunde:

Sie hat die Terminologie in den sie interessierenden Sachgebieten oft sehr genau gesammelt (Möhn 1967), ohne über einen wortbezogenen Ansatz eigentlich hinauszukommen. Immerhin haben hier traditionell die engsten Beziehungen zur Sprachwissenschaft bestanden, ja gerade im Forschungsgebiet Fachsprachen hat die Sprachwissenschaft eine reliktorientierte Schwerpunktsetzung mit der Volkskunde geteilt.

Die Sprachwissenschaft selbst, speziell die Germanistik, hat sich von ihrem wort- und reliktbezogenen Fachsprachen-Ansatz seit J.Grimm (Vorrede zum Wörterbuch [vgl. Mohn 1968]) bis zu A. Schirmers erstem programmatischen und zusammenstellenden Aufsatz (in GRM 1912) nur wenig entfernt. Zwar kritisiert Schirmer die gerade im Blick auf den Fachwortschatz problematische Haltung Grimms zu den Fremdwörtern, aber die grundsätzliche lexikologisch-lexikographische Methode wird undiskutiert fortgesetzt (vgl. v. Hahn 1981 und v. Hahn 1979).

Die Dialektgeographie stützt sich weitgehend (von Desideraten wie bei Möhn 1967 abgesehen) auf ein gemeinsprachlich/fachsprachliches Mischrnaterial ohne die Notwendigkeit zur Differenzierung zu sehen und ohne über einen, wenn auch z.T. gesellschaftlich einbettenden lexikologischen Ansatz hinauszukommen.
 
 


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