Abschnitt 6.1
Der Irrtum von der "Exaktheit" der Fachsprache und der "Vagheit" der Gemeinsprache
Diese Folien sind eine Zusammenfassung meines Aufsatzes:
Vagheit bei der Verwendung von Fachsprachen. In: L. Hoffmann/ H. Kalverkämper/H.E.Wiegand:
Fachsprachen. Ein Internationales Handbuch zur Fachsprachenforschung und
Terminologiewissenschaft. (Handbücher der Sprach- und Kommunikationswissenschaft).
Band 1. Berlin 1998. S. 383 - 390.
"Exaktheit" und "Vagheit" in der Fachsprache
1. Exaktheit ist die Folge der Vereinfachung in den Fachsprachen. Durch
Beschränkung auf wenige Aspekte und durch Abstraktionen in den (v.
a. wissenschaftlichen) Fächern sind wir in der Lage exakte Ausdrücke
über Objekte und Relationen dieser "Kunstwelt" zu bilden. Die Komplexität
der natürlichen Lebenswelt erlaubt nur vage Ausdrücke. Präzision
und Relevanz stehen in umgekehrt proportionalem Verhältnis. 2. Man
muß unterscheiden zwischen der semantischen Unbestimmtheit und der
kommunikativen Unterspezifiziertheit. Semantisch unbestimmt sind Wörter
oder Ausdrücke, die außerhalb ihres kommunikativen Kontexts
begrifflich oder referenziell vage sind, kommunikativen unterspezifiziert
sind solche Ausdrücke, die für einen Hörer in einer gegebenen
Situation zu wenig informativ sind.
In diesem Sinne ist die begeisterte Erzählung des Kindes über
das Wochenende nicht unterbestimmt, da die Begeisterung sehr exakt mitgeteilt
werden kann.
Der Satz
"Die Sätze A und B stehen in einer logischen Relation zueinander"
ist zwar semantisch wohlbestimmt, aber als Antwort auf die Frage, ob
A eine Begründung für B ist, kommunikativ unterbestimmt.
Wo Exaktheit eine Rolle spielt
Davon bleibt unberührt die Tatsache, daß in bestimmten Textsorten
(etwa Vorschriften, Gesetzestexten, Formelsammlungen, Beweisen) einzelner
Fachsprachen (z.B. Pilot-Tower-Kommunikation) die Notwendigkeit von ko-
und kontextfreier Eindeutigkeit besteht und erreicht wird (z. B. durch
Vermeidung von Pronominalisierung, Explizierung von Präsuppositionen
oder durch Vereinbarung von Nomenklaturen)
Immer ist diese Wohlbestimmtheit an ein generelles Genauigkeitsmaß,
die "Granularität" der Textsorte gebunden (Ein Gesetzestext z.B. muß
Objekte nicht auf der Molekular-Ebene kennzeichnen, sondern kann mit sichtbaren
Eigenschaften auskommen). Weitere Themen