Erscheint in: Kongressbericht des 26. Kongress von Frauen in Naturwissenschaft und Technik, 1.-4.Juni 2000, Hamburg.

Wie Frauen und Männer mit dem Computer reden

Kerstin Fischer


Seit einigen Jahren wird verstärkt an Computersystemen gearbeitet, die natürliche Sprache verstehen können sollen. Das Ergebnis dieser Bemühungen sollen Computer sein, mit denen man ganz normal, d.h. wie mit einem anderen Menschen, reden kann.

In dieser Arbeit wird ein Experiment beschrieben, in dem Menschen mit einem solchen System, mit dem man mündlich Termine vereinbaren kann, interagieren. Tatsächlich wird dieses System von einer Versuchsleiterin nur simuliert und zwar so, daß für die Sprechenden (die Versuchspersonen dieses Experiments, im folgenden Vpn) der Eindruck entsteht, daß das System sie häufig mißversteht. Dabei wenden die Vpn zahlreiche Strategien an, um die Interaktion zu verbessern. Diese Situation bietet eine ausgezeichnete Möglichkeit zu untersuchen, wie die menschlichen Systemnutzer ihren Kommunikationspartner einschätzen; Sprechende konstruieren ihre sprachlichen Äußerungen auf der Basis dessen, was sie über ihren Kommunikationspartner wissen, bzw. was sie von ihm erwarten. Eine Analyse des recipient design [Sacks, Schegloff & Jefferson, 1974] kann daher Hinweise auf die Vorstellungen der Sprechenden von ihrem Kommunkationspartner und auf ihre Strategien zur Vereinfachung der Verständigung mit dem Computer liefern.

Das Experiment erlaubt also zu untersuchen, was die menschlichen Sprecher von ihrem Kommunikationspartner erwarten, was sie für seine Stärken und Schwächen halten und wie sie sich an ihn anpassen. Die Dialoge zeigen auch, wie die menschlichen Vpn ihre Frustration äußern und wie sich Frauen und Männer im Herangehen an den Computer unterscheiden.


Die Daten sind 36 Dialoge zwischen dem simulierten System und der menschlichen Vp von 18-33 min Länge. Die Aufgabe der Vpn besteht darin, zehn Termine mit dem System abzusprechen. Die Ausgabe des Systems wird dabei simuliert, d.h. es gibt ein festgelegtes Schema von vorgefertigten Äußerungen, die unabhängig von dem, was die Vpn sagen, abgeschickt werden. Diese Äußerungen sind beispielsweise "Bitte machen Sie einen Vorschlag" oder "Dieser Termin ist schon belegt", die den Vpn den Eindruck vermitteln, verstanden worden zu sein, aber auch Äußerungen wie "Ein Termin um vier Uhr morgens ist nicht möglich", bei denen sie sich mißverstanden fühlen. Das Schema definiert die Reihenfolge der Systemäußerungen, die sich phasenweise innerhalb jedes Dialogs wiederholen. Auf diese Weise kann untersucht werden, wie sich die Vpn sprachlich verhalten, je nachdem, ob sie das erste, zweite oder das vierte Mal mit den gleichen Äußerungen konfrontiert sind. Allgemeines Ziel der Untersuchung ist herauszufinden, wie sich das sprachliche Verhalten von Systemnutzern verändert, wenn sie verärgert sind, aber die Daten bieten ebenfalls die Möglichkeit zu untersuchen, wie die Vpn ihren Kommunikationspartner einschätzen und wie sie auf ihn zugehen.


Das folgende Beispiel zeigt drei Ausschnitte aus einem Dialog zwischen Sprecher e030 und dem System (s), die am Anfang, der Mitte und gegen Ende des Dialogs geäußert wurden:


e0302201: dann mach' ich einen neuen. <P> Donnerstag, <P> der einundzwanzigste erste, <P> von zehn bis sechzehn Uhr.

s0302202: die Urlaubszeit ist fünfzehnten Juni bis zwanzigsten Juli.

e0302202: die Urlaubszeit?


e0304101: <mhm> <P> <B> Donnerstag, siebter erster, zehn bis zwölf Uhr.

s0304102: die Urlaubszeit ist fünfzehnten Juni bis zwanzigsten Juli.

e0304102: ja, interessant <;leise>. <B> <P> nehmen wir doch Mittwoch, den sechsten ersten, von sechzehn bis achtzehn Uhr.


e0307101: Donnerstag, der vierzehnte erste, zwölf bis vierzehn Uhr.

s0307102: die Urlaubszeit ist fünfzehnten Juni bis zwanzigsten Juli.

e0307102: Donnerstag, den vierzehnten ersten, von zwölf bis vierzehn Uhr.


Das Beispiel zeigt, daß im Laufe des Dialogs Veränderungen im sprachlichen Verhalten der Vp auftreten. Während der Sprecher beim ersten Mal noch auf die Äußerung des Systems eingeht und eine Klärungsfrage stellt, wird diese irrelevante Äußerung beim zweiten Mal mit `interessant' kommentiert. Daraufhin versucht der Sprecher es noch mit einem anderen Termin. Beim dritten Mal wiederholt er seinen Terminvorschlag, ohne sich um die Systemäußerung zu kümmern. Diese Strategien sind typisch insofern, als die Vpn anfangs oft noch reformulieren, d.h. nach Möglichkeiten suchen, ihre Äußerungen für den Computer verstehbarer zu machen, oder indem sie Metasprache benutzen, um Mißverständnisse aufzuklären, während sie gegen Ende nur noch wiederholen. Hinsichtlich des verwendeten Vokabulars sind in der zweiten Dialoghälfte beispielsweise Ausdrücke mit Scheiß- doppelt, Flüche mit Gott sogar fünfmal so häufig. Das heißt, daß das sprachliche Verhalten der Vpn sich verändert, obwohl die Äußerungen des Systems immer dieselben sind. Die Veränderungen können daher auf die sich verändernde Emotionalität der Vpn zurückgeführt werden [Fischer, 1999].


Wir können nun fragen, ob es einen geschlechtsspezifische Unterschiede im Einsatz dieser Strategien gibt, d.h. ob und inwiefern sich weibliche und männliche Vpn in ihrem Zugehen auf den Computer und in ihrer Anpassung an dessen Verhalten unterscheiden.


Zunächst läßt sich zeigen, daß sich für einige, aber nicht für alle Strategien signifikante Unterschiede und Tendenzen in Bezug auf einzelne Dialogphasen ergeben. Zum Beispiel ist es kooperatives sprachliches Verhalten, im Falle von Mißverstehen den Terminvorschlag für den Kommunikationspartner zu reformulieren, d.h. in anderen Worten noch einmal zu äußern. Hier zeigt sich, daß die Frauen über einen längeren Zeitraum (Phase 3 p=0.08, Phase 4 p=0.024) reformulieren, in Phase 5 aber etwa gleich häufig wie die Männer. Das heißt, daß sich weibliche und männliche Vpn hinsichtlich ihrer Kooperativität in bestimmten Dialogphasen unterscheiden. Mit anderen Worten, Frauen sind etwas geduldiger als Männer in dieser Situation.


Ebenso benutzen Frauen tendentiell mehr (p=0.082 in Phase 1) Metasprache, die auch ein kooperatives Verfahren darstellt, da ihr Einsatz auf Klärung der Mißverständnisse ausgerichtet ist. Aber auch hinsichtlich dieser Strategie gibt es eine systematische Angleichung über die Zeit.

Hinsichtlich nicht-kooperativen sprachlichen Verhaltens sind die Ergebnisse komplementär: Männer beginnen früher, nur zu wiederholen (Phase 1 p= 0.0017, Phase 2 p= 0.077, Phase 3 p= 0.0035), aber auch hier zeigt sich eine Angleichung in Phasen 4 und 5, wie die Abbildung unten zeigt.

Zudem ergeben sich einige Unterschiede in der Explizitheit von Ärger: Nur drei Frauen kritisieren ihren Kommunikationspartner explizit: Scheißteil, Blödmann, Du spinnst, während sieben Männer Schimpfworte gegen das System verwenden: Scheißteil, Scheißtyp, Arschloch, Scheißmaschine, dumme Maschine, Arschkeks.

Die Ergebnisse zeigen, daß sich weibliche und männliche Vpn vor allem hinsichtlich ihrer Geduld sowie in der Explizitheit ihrer Kritik unterscheiden. Sie sind dagegen ähnlich in ihrem Verhalten zu Beginn der Dialoge als auch gegen Ende, d.h. ihre sprachlichen Strategien konvergieren nach einiger Zeit der Interaktion mit dem simulierten System. Insgesamt hat die Variable Geschlecht nur wenig Einfluß auf die auffindbaren sprachlichen Merkmale.


Sehen wir uns dagegen die Gesprächsanfänge dagegen genauer an, wird deutlich, daß sich die Vpn bereits in ihren ersten Äußerungen dem System gegenüber unterscheiden. Die ersten beiden der folgenden Beispiele zeigen zwei männliche Sprecher, die nicht oder nur bedingt auf die Frage des Systems nach ihrem Befinden eingehen.1 Dagegen lassen sich die beiden Sprecherinnen in den beiden weiteren Beispielen auf "das Spiel" ein: Nach einer kurzen Pause entscheiden sie sich, den Kommunikationspartner zurückzufragen, wie es ihm geht. Damit lassen sie sich auf ein gemeinsames Vorgeben, a joint pretense [Clark, 1999], ein, nämlich, den Computer wie einen anderen Menschen zu behandeln:


s0220001: ja, guten Tag. wie geht es Ihnen?

e0220001: <Laugh> gut. <Laugh>

s0220002: was kann ich für Sie tun?

e0220002: einen Termin machen.


e0370000: hallo Computer. <P> hallo. <P> kuckuck.

s0370001: ja, guten Tag. wie geht es Ihnen?

e0370001: ja, okay. uhm dann lassen Sie uns doch einen Termin abmachen. <P> ich habe nächste Woche keine Zeit. <P> wie sieht es denn bei Ihnen aus?


s0110001: ja, guten Tag. wie geht es Ihnen?

e0110001: guten Tag. danke, gut. <B> <P> und wie geht 's Ihnen?

s0110002: was kann ich für Sie tun?

e0110002: ich hätte gern' einen Termin bei Ihnen.


s0190001: ja, guten Tag. wie geht es Ihnen?

e0190001: danke, gut. <P> und Ihnen?

s0190002: was kann ich für Sie tun?

e0190002: ja, wir wollen zusammen den Test machen. <P> Termin absprechen.


Das Einsteigen auf "das Spiel" kann fast ausschließlich nur von Frauen beobachtet werden. Weitere Beispiele für eine "Vermenschlichung" des Kommunikationspartners von weiblichen Vpn sind die folgenden:


e0045206: <B> können Sie denn Ihre Mittagspause auch erst um vierzehn Uhr machen, so daß wir uns dann treffen können?


e0324304: so, so. Sie verwechseln jetzt den Wochentag mit der Uhrzeit. da haben wir ja beide Probleme. Vielleicht sind Sie Ausländer.


Die folgenden Beispiele dagegen, in denen der Computer als "dumme Maschine" behandelt wird, wurden von männlichen Sprechern geäußert:


e0372301: nein, der siebte erste ist ein Donnerstag, du dumme Maschine. naja, egal. machen wir den achten ersten als Termin ab. sind Sie damit einverstanden?


e0387103: Sprachsysteme sind dumm. Donnerstag, einundzwanzigster erster, achtzehn Uhr.


Ob sich die Vpn zu Beginn der Dialoge auf "das Spiel" einlassen, hat auch Konsequenzen für ihr sprachliches Verhalten. Anders als für die Variable weibliche/männliche Vp werden für die Gruppen "Spielerinnen/Nicht-spieler" die Unterschiede für die Verwendung von Metasprache in den Phasen 1-3 und für die Äußerungen ohne Bezug zur Vorgängeräußerung durchweg signifikant; d.h. die "Spielerinnen" sind insgesamt kooperativer als die "Nicht-spieler":




Die Untersuchung hat gezeigt, daß das Geschlecht der Vpn tatsächlich keine entscheidende Rolle spielt für die Verteilung spezifischer sprachlicher Merkmale. So benutzen Frauen und Männer anfangs und gegen Ende der Dialoge die gleichen linguistischen Strategien, um sich dem Computer gegenüber verständlich zu machen. Nur in der Mitte der Dialoge gibt es hinsichtlich einiger Strategien Unterschiede in der Kooperativität der Vpn. Entscheidend ist dagegen die Einstellung dem Kommunikationspartner gegenüber. Hier lassen sich deutlich die Vpn, die sich auf "das Spiel" einlassen, ihren Kommunikationspartner als menschliches Gegenüber zu begreifen, von denen unterscheiden, die das System als Werkzeug oder Hilfsmittel betrachten. Diese Unterschiede haben auch eindeutige Konsequenzen für das sprachliche Verhalten der Vpn. Hinsichtlich der Frage, wie sich weibliche und männliche Sprechende unterscheiden, ist interessant, daß die Gruppe der "Spieler" nahezu vollständig aus Frauen besteht. D.h. Frauen lassen sich eher auf das gemeinsame Vorgeben, eine `normale' Kommunikation zu führen, ein. Dabei muß betont werden, daß dies keine Naivität, sondern ein eigens vollzogener Schritt der jeweiligen Sprecherin ist, wie sich an der Pause vor der jeweiligen Entscheidung, in "das Spiel" einzusteigen, ablesen läßt. Dieser Schritt fällt Frauen offensichtlich leichter als Männern, wobei es auch eine große Gruppe von Frauen gibt, die, wie die Männer, das Spiel eben nicht mitspielen.


Clark, H. H., How Do Real People Communicate with Virtual Partners? Proceedings of AAAI-99 Fall Symposium, Psychological Models of Communication in Collaborative Systems, November 5-7th, 1999, North Falmouth, MA. Menlo Park, Calif.: AAAI Press.

Fischer, K., Annotating Emotional Language Data, Verbmobil Report 236, Dezember 1999.

Sacks, H., Schegloff, E. & Jefferson, G., A simplest systematics for the organization of turn-taking for conversation, 1974, Language 50, 4, 696-735.

1Das Lachen im ersten Beispiel zeigt zusätzlich, daß die Frage als ungewöhnlich empfunden wird.