Was erwartet Sie in diesem Proseminar?
Proseminare dienen der Vermittlung von grundlegenden Methoden und Fertigkeiten des wissenschaftlichen Arbeitens.
Welches Thema könnte also für ein Proseminar besser geeignet sein, als das wissenschaftliche Schreiben?
Wissenschaftliches Schreiben ist eine zentrale Komponente des wissenschaftlichen Arbeitens, denn wissenschaftliche
Erkenntnisse, die nicht oder nicht erfolgreich kommuniziert werden, sind für die Außenwelt praktisch nicht existent.
Damit stellt die Fähigkeit zur erfolgreichen Kommunikation eine unverzichtbare Vorbedingung für erfolgreiches
wissenschaftliches Arbeiten dar.
Wissenschaftliche Problemstellungen und Erkenntnisse sind hochkompliziert. Sie gehen in den meisten Fällen
bis an die Grenzen dessen, was man noch erfolgreich kommunizieren kann. Schriftliche Dokumentation kommt dem
entgegen, da oftmals erst durch das wiederholte Lesen und Umformulieren einer Erkenntnis das gewünschte
wechselseitiges Verständnis hergestellt werden kann. Aber weil schriftliche Kommunikation anders als der mündliche
Dialog keine unmittelbare Rückopplung zwischen Autor und Leser erlaubt, fordert die schriftliche Dokumentation
vom Autor ein hohes Maß an Sorgfalt und Aufwand, damit die Kommunikation auch gelingen kann. Was dabei alles
zu beachten ist, wollen wir in diesem Proseminar diskutieren.
Wissenschaftliches Schreiben ist eine Fertigkeit, die man erlernen kann. Dazu muss man zum einen die grundlegenden
Regeln kennen und beachten, die sich in unterschiedlichen Kulturen des Schreibens in den verschiedenen
Wissenschaftsdisziplinen herausgebildet und bewährt haben. Wissenschaftliches Schreiben lernt man aber nicht dadurch,
dass man darüber redet, sondern dadurch, dass man gute und schlechte Beispiele studiert und vor allem dadurch, dass
man viel schreibt und sich immer wieder fragt: Kann man das nicht auch noch ein bisschen besser formulieren? Darin
unterscheidet sich das wissenschaftliche Schreiben nicht von vielen anderen Fertigkeiten, wie dem Spielen eines
Instruments oder dem Ausüben einer Sportart: Erst die Übung macht den Meister.
Aus diesem Grunde wirde dieses Proseminar anders ablaufen als andere Proseminare in der Informatik. Natürlich werden
wir uns über grundlegenden Konzepte des Schreibens unterhalten, in Form von Vorträgen, der Diskussion der
Vortragsthemen und der Zusammenfassung eines solchen Themas in einer Seminararbeit. Bis dahin sollte dieses Proseminar
ein Proseminar sein, wie jedes andere auch. Daneben werden wir aber auch Beispieltexte diskutieren und vor allem eins:
Schreiben! Schreiben mit ganz unterschiedlichen Zielstellungen um zu lernen, wie man seinen Text an unterschiedliche
Aufgaben und Bedürfnisse anpassen muss und kann. Dazu gehören neben der eigentlichen Seminararbeit (1) zu dem von
Ihnen gewählten Thema,
- eine Kurzfassung einer von Ihnen zu wählenden und als gut gelungen eingeschätzten Abschlussarbeit aus dem Gebiet der Informatik in Form eines Extended Abstracts (2) wie er für viele wissenschaftliche Konferenzen gefordert wird und eine
- Kurzrezension eines Buches (3), das Sie für Ihr Seminarthema genutzt haben.
Wir werden auch üben, wie man einen Text auf konstruktive, also
hilfreiche Weise kritisiert und wie man eine solche konstruktive Kritik zur Verbesserung des Textes umsetzen kann.
Zum einen werden Sie gebeten, Verbesserungsvorschläge (4) für eine Abschlussarbeit aus dem Gebiet der Informatik
zusammen zu stellen, die Sie als nicht so gut gelungen einschätzen. Zum anderen werden wir die im Rahmen der Proseminars
entstandenen Texte wechselseitig begutachten, eine Methode, die in der Wissenschaft unter dem Namen
peer review
weit verbreitet ist. Solche Gutachten werden Sie für die oben genannten Texte (2) und (3), sowie für die
Verbesserungsvorschläge (4) anfertigen.
Sie sehen schon, letztendlich werden diese schreibzentrierten Aktivitäten den überwiegenden Teil des
persönlichen Aufwands (und auch der Benotung) für das Proseminar ausmachen. Ich halte diesen Aufwand aber
für gerechtfertigt, weil auf der anderen Seite die zu bearbeitenden Themen eher keinen allzuhohen theoretischen
Anspruch erheben. Sie können deshalb mit deutlich geringerem Aufwand aufbereitet werden als die sonst üblichen
Vortragsthemen in einem Proseminar.
Dennoch möchte ich gleich zu Beginn deutlich machen, dass die Leistungsanforderungen dieses
Proseminars nur mit einem hohen und kontinuierlichen individuellen Arbeitseinsatz erreicht werden
können. Wie ich aus eigener Erfahrung nur allzugut weiß, ist Schreiben und vor allem das wissenschaftliche
Schreiben oftmals mit harter und teilweise sogar quälender Arbeit verbunden. Aber um zu lernen, wie man mit
diesem Problem umgehen kann, dazu sind wir ja hier.
--
WolfgangMenzel - 14 Apr 2020